Montag, 7. März 2011

Über die Software-Industrie in Deutschland


Bezüglich der Größe der Software-Branche in Deutschland kann man immer wieder die widersprüchlichsten Angaben lesen. Zum Teil liegt dies daran, dass sich viele Autoren nicht im Klaren sind, wen sie zu der Branche dazu zu rechnen haben. Selbst wenn man nur die Primärbranche, also nur die Hersteller und Dienstleister, im Auge hat, muss man unterscheiden, ob man damit nur Unternehmen meint, die den deutschen Inlandsmarkt mit Produkten und Diensten versorgen, oder ob man auch Unternehmen berücksichtigt, die in Deutschland Software-Produkte für den Weltmarkt entwickeln. Die Umsätze und Mitarbeiterzahlen unterscheiden sich dann erheblich. Die letztere Perspektive ist dann relevant, wenn man entweder an Beschäftigungsmöglichkeiten interessiert ist oder aber den Fachkräftebedarf abschätzen will. Aus Deutschland stammende Dienstleistungen für den Weltmarkt kann man (immer noch) vernachlässigen. Das gilt sowohl für Dienste, die durch Personen geleistet werden, als auch für solche, für die Computer oder das Internet die Träger sind.

Eine größere Untersuchung der Branche wurde im Jahre 2000 auf Veranlassung des BMBF durchgeführt. Eine Zusammenfassung der Studie erschien 2001 im Informatik-Spektrum. Ihre Daten reflektieren die Zeit des Internet-Booms, sind also zum Teil überholt. Es wurden damals über 32.000 Unternehmen gezählt, von denen nur 185 (0,5%) mehr als 200 Mitarbeiter hatten. Für 2005 wurden Beschäftigtenzahlen prognostiziert, die vermutlich nicht ganz eintrafen, nämlich 300.000 im Primär- und nur 85.000 im Sekundärbereich (also bei Anwendern). Es wurde argumentiert, dass die Primärbranche durch junge Unternehmen gekennzeichnet sei, von denen eine große Anzahl erst nach 1990 gegründet wurde. Insgesamt wurden die Chancen für Deutschland  „in diesem Know-how-orientierten Zukunftsfeld“ als hervorragend bezeichnet. Wie wir wissen, hat (auch) unsere Branche Rückschläge erlitten. Nach dem Platzen der Internet-Blase kam anschließend die Finanzkrise. Es gab also erhebliche Schwankungen und Verunsicherungen.

Demgegenüber trafen einige technische Prognosen der Studie erstaunlich gut zu. So wurde z. B. vorhergesagt, dass im Jahre 2010 Personenautos über Bordcomputer verfügen würden, die über das Internet alle notwendigen Informationen zum Wetter und zur Straßensituation liefern. „Zudem leistet der Bordcomputer einen Datenabgleich mit dem PDA des jeweiligen Fahrers, um auch persönliche Bedürfnisse und Vorgaben in die Routenplanung zu integrieren“ [S.167]. Dieser Bordcomputer heißt heute Smartphone, kommt allerdings nicht (mehr) aus Deutschland..

Will man einen Blick auf die heutige Situation der Branche werfen, ist es sinnvoll von den Daten der Lünendonk-Listen auszugehen. In meiner Veröffentlichung von 2006 über den Software-Markt benutzte ich dieselbe Quelle. Obwohl mit vielen Ungenauigkeiten behaftet, sind sie die umfassendste Fundgrube für Umsatz- und Mitarbeiterzahlen. In der hier eingefügten Tabelle sind wieder mit Stern (*) die Produktfirmen gekennzeichnet, alle andern sind Dienstleister. Die neuesten verfügbaren Zahlen sind für das Krisenjahr 2009, die ich den Zahlen von 2003 gegenüberstelle. Leider ist hier die Sicht des Inlandsmarkts gewählt. So ist der Umsatz von SAP nur für Deutschland angegeben. Diese Zahl ist zwar leicht festzustellen, stellt aber nur einen Bruchteil des Gesamtumsatzes von SAP dar. Wie viele Mitarbeiter von SAP dem deutschen Markt zugerechnet werden können, ist bestenfalls eine grobe Schätzung. Das IBM Labor Böblingen mit über 1000 Mitarbeitern in der Software-Entwicklung kommt überhaupt nicht vor. Für den deutschen Markt arbeiteten höchstens 10% davon. Der weltweite Software-Umsatz liegt in der Größenordnung der hier genannten Firmen.

     (Diese Reihenfolge ergibt sich aus der Kombination mehrerer Lünendonk-Listen)

Nach diesen Klarstellungen komme ich bei einer Analyse der Zahlen von 2003 und 2009 fast zur umgekehrten Schlussfolgerung wie vor fünf Jahren. Damals schrieb ich, dass die Veränderung zwischen 1999 und 2003 vor allem das Vordringen von Dienstleistern gegenüber Produktfirmen betrifft. Jetzt sind die Dienstleister eher auf dem Rückzug. Vor allem T-Systems und Siemens ISS sind betroffen, aber auch IBM Global Systems. Dies steht im Gegensatz zu der landläufigen Meinung, dass in Krisenzeiten zuerst  das Produktgeschäft einbricht und erst später das Service-Geschäft. Die beiden aktuellen Stars unserer Branche, Apple und Google, sind noch nicht unter den ersten zehn gelandet. Vermutlich werden sie überhaupt nicht als Software-Unternehmen wahrgenommen. Atos Origin, der französische Dienstleister, der gerade die Siemens ISS übernimmt, rangierte 2009 noch auf dem elften Platz. Deutschlands zweiter Global Player, die Software AG, liegt weit abgeschlagen.

Bei Angaben zum Fachkräftebedarfs sollte man unterscheiden zwischen dem momentanen Bedarf und dem langfristigen Bedarf. Den momentanen Bedarf kennt die Bundesagentur für Arbeit (BA) zumindest teilweise anhand der als offen gemeldeter Stellen. Dabei ist zu beachten, dass bei Ingenieuren und Informatikern die BA längst nicht den gesamten Bedarf gemeldet bekommt. Viel schwieriger – wenn nicht sogar unmöglich – ist es, den Bedarf für die nächsten 5-7 Jahre zu ermitteln. Das sind aber genau die Zahlen, die benötigt werden, um politische Weichenstellungen im Ausbildungsmarkt zu veranlassen oder die Einwanderungspolitik zu verändern. Kein Wunder, dass wir uns dabei so sehr schwer tun.

Wird versucht diesen Bedarf zu schätzen, so kann man eigentlich nur den altersbedingten Ersatzbedarf ermitteln oder aber eine lineare Hochrechnung bisheriger Trends vornehmen. Diese sind jedoch alles andere als eindeutig. Wie die hier gezeigten Daten belegen, hat der derzeitige Wachstumstrend sogar ein negatives Vorzeichen. Die große Unbekannte unserer Branche sind stets die Produktinnovationen. Sie vorherzusagen, ist unmöglich. Aktuelle Beschäftigungschancen gibt es vor allem bei Unternehmen, die in den zurückliegenden Jahren ein relativ großes Innovationspotenzial bewiesen. Dazu gehören Apple, Google, HP, IBM, Microsoft und SAP. Früher so bekannte Namen wie EDS (jetzt bei HP), Siemens, Sun (jetzt bei Oracle) und T-Systems rechne ich nicht dazu. Niemand sollte jedoch die Möglichkeit ausschließen, dass auch einmal jemand, von Deutschland ausgehend, einen neuen Markt schafft und ein neues Unternehmen gründet. Es muss ja nicht gleich ein Amazon, eBay, Facebook, Google oder Twitter sein.

Dass der Anteil der oben gelisteten Firmen, der von deutschstämmigen Führungskräften geleitet wird, immer geringer wird, ist sogar der Politik aufgefallen. Ob der Software Campus in Berlin in 5-10 Jahren eine Wende herbeiführt, bleibt abzuwarten. Zweifel sind insofern berechtigt, als dass die Gefahr besteht, dass nur eine akademische Management-Kultur gepflegt wird, die sich an einer (meist englischsprachigen) Publikationsflut und einer inflationären Titelvergabe misst. Was unserem Lande an allererster Stelle fehlt – und ich kann es nicht oft genug sagen – ist eine Innovationskultur. Gemeint ist Heißhunger, der nach Lösungen sucht, die für den Weltmarkt relevant sind, und der Wille, diese in Produkte und Dienste umzusetzen. Ob dies die politisch Verantwortlichen je verstehen werden, da habe ich meine Bedenken.

Um vier der obigen Firmennamen mit konkreten gedanklichen Vorstellungen in Verbindung zu bringen, füge ich einige markante Sätze aus ihren Selbstdarstellungen bei.

HP: Der HP Way zeichnet sich aus durch Einsatz für die Kunden, Vertrauen und Respekt, Ergebnisorientierung, Geschwindigkeit und Flexibilität, Wegweisende Innovationen, Teamwork und kompromisslose Integrität.

IBM Global Systems: Es ist höchste Zeit, unsere Welt zum Besseren zu verändern. Mit den Ressourcen von IBM werden wir dazu unseren Beitrag leisten. Wie und wo genau wir ansetzen, um unseren Planeten ein Stück "smarter" zu machen, erfahren Sie von uns.

SAP: SAP ist der führende Anbieter von Unternehmenssoftware. Neben Walldorf unterhält die SAP Entwicklungslabors in Bulgarien, Kanada, China, Frankreich, Ungarn, Indien, Israel, den USA sowie in Berlin, Karlsruhe und Saarbrücken. Darüber hinaus unterhält SAP Forschungszentren in Europa (Belfast, Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, St. Gallen), den USA (Palo Alto), Canada (Montréal), Südafrika (Pretoria) und Asien (Brisbane, Shanghai).

T-Systems: Mit einer weltumspannenden Infrastruktur aus Rechenzentren und Netzen betreibt T-Systems die Informations- und Kommunikationstechnik (engl. kurz ICT) für multinationale Konzerne und öffentliche Institutionen.

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