Samstag, 9. April 2011

Microsoft mit und ohne Bill Gates

Wer an Microsoft denkt, denkt an Bill Gates. Es gibt mehrere Unternehmen in unserer Branche, die stark mit einer einzelnen Persönlichkeit verbunden sind. Apple und Steve Jobs werde ich noch besprechen. Aber auch Oracle und Larry Ellison gehören in diese Kategorie. Gates hat nicht nur 1975 die Firma Microsoft (mit Paul Allen zusammen) gegründet, und zwar im Alter von 20 Jahren, sondern sie auch etwa 30 Jahre lang geprägt. Heute gilt er aufgrund seines Aktienbesitzes als einer der reichsten Männer der Welt. Das mag bei vielen Menschen Gefühle wie Neid und Verachtung hervorrufen – ich gehöre nicht zu diesen.

In denselben Jahren, in denen Gates auszog, um der Welt zu zeigen, dass man mit Software Geld verdienen kann, pflegten meine Kollegen und ich eine etwas andere Vision. Wir glaubten, dass Fortschritt am sichersten zu erzielen sei, wenn man Hardware und Software als Einheit betrachtet. Uns standen die Physiker und Ingenieure (zu) nahe, die alle zwei Jahre die Leistungsfähigkeit ihrer Bauelemente (Prozessoren, Speicher) verdoppelten und frugen, was Software in dieser Hinsicht zu bieten hätte. Im Grunde ließen wir uns von dieser Vorstellung in die Irre führen. Statt Software zu entwickeln, die zeigen sollte, wie gut die neue Hardware ist, hätten wir besser gefragt, was eigentlich Software ist. Das tat Bill Gates. Seine Antwort: Gute Software ist operativ einsetzbares Wissen, geronnene Intelligenz. Sie ist eigentlich zu schade, dass man sie von einer bestimmten Ausprägung (sprich Architektur) oder einer bestimmten Generation (sprich Technik) der Hardware abhängig macht, oder gar von einem bestimmten Fabrikanten. Da es deren im PC-Bereich sehr viele gab, hieß der Weg zum Software-Erfolg: Plattform-Unabhängigkeit.

Ich hatte gegen Ende der 1970er Jahre persönlich Kontakt zu mehreren Entwicklern des IBM-PCs in Boca Raton, FL. Die Kollegen, die den ersten Kontakt zu Gates herstellten (Bill Lowe, Jack Sams) gehörten dazu. Liebend gerne hätten sie die Basis-Software von IBM genommen (sogar unser Böblinger DOS), hätten die IBM-Strategen dies erlaubt. Gates war weitsichtig genug, um auszuhandeln, dass er sein DOS (das er erst von jemand anderem kaufen musste) auch unabhängig von IBM verwenden durfte. Der Rest ist Geschichte.

Ich hörte Gates mehrmals als Redner und las mehrere seiner Bücher. Immer wirkt er als jemand, der eine Botschaft hat, die er herüber bringen will. Von einem unbän­digen Optimismus beseelt, extrapolierte er stets die technische Entwicklung und machte Vorhersagen für Wirtschaft und Gesellschaft. Im Gegensatz zu Futuristen von der Art eines Ray Kurzweil erschienen seine Prognosen jedoch stets realistisch und glaubhaft. Umso mehr muss es ihn getroffen haben, als er feststellen musste, dass ihm eine Entwicklung wie die des Internet zunächst entgangen war. Nachdem er die umwälzende Bedeutung für sein Unternehmen erkannt hatte, versuchte er dieses herumzureißen. Nur war sein Unternehmen zu diesem Zeitpunkt (Mitte der 1990er Jahre) längst kein kleines Kanonenboot mehr, sondern ein Schlachtschiff.

Bill Gates ist heute 55 Jahre alt und hat sich vor drei Jahren aus der Firma zurückgezogen. Er und seine Frau Melinda kümmern sich um eine philanthropische Stiftung. Mit fast 40 Mrd. US$ an Kapital besitzt sie mehr Geld als das Rote Kreuz. Die Leitung des Unternehmens Microsoft liegt jetzt in den Händen von Steve Balmer.

Wie die folgenden auf Presseinformationen basierenden Zahlen belegen, ist Micro­soft heute (immer noch) ein sehr profitables Unternehmen. Die kleine Delle im Jahre 2009 scheint auf die weltweite Finanzkrise hinzudeuten. Viele deutsche Unter­nehmen, vor allem die aus der Auto­mobilindustrie, wären glücklich gewesen, wären sie so glimpflich davon gekommen.


 
Noch mehr als IBM – aber teilweise aus denselben Gründen – geriet Microsoft in der Öffentlichkeit in die Kritik. Fast gehörte es zum guten Ton oder zur akademischen Gepflogenheit auf Microsoft zu schimpfen. Die Kritiker hatten sogar manchmal Recht. Es gab nämlich ein Kartellverfahren in den USA und eine Klage der EU. In beiden Fällen ging es um die Verdrängung von andern Firmen aus dem Markt, dadurch dass ein konkurrierendes Produkt (Browser, Media Player) als Teil des Betriebssystems kostenlos verteilt wurde. Das amerikanische Verfahren wurde von G.W. Bush nach dessen Wahl zum Präsidenten eingestellt. In der EU kam es zu einer Verurteilung mit einer beträchtlichen Geldstrafe. Dass ein Großteil der Kritiker sich inzwischen auf Google eingeschossen hat, mag als Erleichterung empfunden werden.

Das heutige Geschäft von Microsoft ruht auf drei Säulen:
  • Betriebssysteme, mit Client/Server-Werkzeugen und Entwicklungs­umgebungen
  • Büroanwendungen, mit Media Player, Internet Browser und Unternehmens­anwendungen
  • Unterhaltung, mit Spielekonsole, Tastaturen und Software für mobile Geräte.
Der Marktanteil, den Microsoft besitzt, liegt bei den meisten Produkten bei über 50%, manchmal über 90%. Früher und klarer als andere Firmengründer hat Gates auch die Natur des Software-Marktes verstanden. Erst bei einem Marktanteil von über 30% kommen nämlich die Netzwerk- und Skaleneffekte von Software zum Tragen. Was das ist, kann man bei Endres (2006) nachlesen. Nichts ist deshalb wichtiger als der Marktanteil. Auf Profite kann man verzichten, sofern dies nur ein vorüber­gehendes Problem ist. Sind die Grundkosten abgedeckt, kann man – statt in anderer Form Werbung zu betreiben – seine eigene Software verschenken, um dadurch den Marktanteil zu sichern oder zu vergrößern. Dass dies andere Marktteilnehmer zur Weißglut treiben kann, ist eine Nebenwirkung, die man besser berücksichtigt.

Im Vergleich zu Google hat Microsoft vermutlich die wesentlich reifere und erfahre­nere Entwicklerorganisation. Dass Microsoft in dieser Hinsicht neue Wege erschloss, brachten Cusumano und Selby bereits1995 ans Licht, also drei Jahre bevor Google gegründet wurde. Kernelemente sind der fortlaufende Integrationsprozess (engl. daily build) und eine mustergültige Testorganisation. Dennoch wird relativ viel Zeit benötigt, um ein Produkt auf den Markt zu bringen. Da in puncto Qualität Microsofts Ruf nicht der beste ist, wurden schon mal neue Produkte erheblich verschoben, weil die Qualität als nicht ausreichend angesehen wurde.

Microsoft verfügt inzwischen über sehr kompetente Forschungsgruppen, sowohl in den USA als auch in Asien und Europa. Der bekannteste Mitarbeiter in Cambridge (England) ist Tony Hoare [1]. Seine Gruppe hat offensichtlich erhebliche Fortschritte erreicht in Bezug auf Verifikation mittels Zusicherungen. In der Zahl der Patent­anmeldungen belegt Microsoft einen Spitzenplatz, und wird in unserer Branche nur von IBM übertroffen. Ob daraus schnell genug neue Produkte auf den Markt kommen, muss sich noch zeigen.

Wie im Beitrag über Google erwähnt, versuchte Microsoft auf den Erfolg von Google zu reagieren, allerdings ohne Wirkung. Das derzeitige Geschäftsmodell von Microsoft und andern Software-Firmen wird von Google in Frage gestellt. Während andere Hersteller darauf angewiesen sind, dass Software selbst Erträge bringt, kann Google Software verschenken, weil die über Werbung erzielten Einnahmen im Übermaß fließen. Ein aktuelles Schlachtfeld sind Smartphones, also mobile Betriebssysteme. Die von Apple und Google gleichermaßen bedrohte Firma Nokia hat sich deshalb mit Microsoft verbündet. Eine weitere Herausforderung kommt von der Open-Source-Bewegung. Es ist keine Überraschung, dass IBM sich hier bei Linux und Eclipse engagiert.

Unter Praktikern gilt die Software von Microsoft als besonders empfänglich für Viren und andere Schad-Software. Wegen seiner großen Verbreitung bietet Microsoft eine wesentlich attraktivere Angriffsfläche als etwa Apple. Im Zusammenhang mit Windows Vista, dem Vorgänger von Windows 7, hatte Microsoft große Anstren­gungen unternommen, um mittels technischer Lösungen das Eindringen von Schad-Software zu verhindern. Leider erwies sich Vista als Flop. Ob damit die entspre­chenden Sicherheitskonzepte auch als ungeeignet angesehen werden, weiß ich nicht. Die Firma Apple ging beim iPhone und iPad einen anderen Weg, der mehr Erfolg zu haben scheint. Man lässt keine Anwendungsprogrammierer frei im System herumwerkeln. Alle Anwendungen (engl. apps) werden von Apple überprüft, ehe sie freigegeben werden.

Microsoft gilt als die Software-Schmiede Nummer 1 auf der Welt. Das Unternehmen ist weltbekannt und in den meisten Ländern vertreten. Microsoft ist ausgesprochen stark im Massenmarkt, ist aber auch im Firmenmarkt wesentlich stärker zuhause als Google. Microsoft hat Zweidrittel des Umsatzes von IBM und 20% des Personals, davon etwa 1500 (2%) in Indien. IBM dagegen hat fast 35% seiner Mitarbeiter in Indien.

Lange wurde daran gezweifelt, ob es Microsoft gelingen könnte im Markt der  Spielekonsole sich ein zweites Standbein zu verschaffen. Der phänomenale Erfolg von Kinect, einem Gerät, das Bewegungen des Spielers erfasst, scheint hier eine Wende zu bringen. Im ersten Quartal nach der Freigabe wurde das Gerät 10 Millionen Mal verkauft. Das stellt sogar Apples iPad in den Schatten.

Die Microsoft Deutschland GmbH hat ihren Unternehmenssitz in Unterschleißheim bei München. Regionalbüros befinden sich in Aachen (European Microsoft Innovation Center), Bad Homburg vor der Höhe, Berlin, Böblingen, Hamburg, Köln und Walldorf. Das Unternehmen beschäftigt in Deutschland etwa 2200 Mitarbeiter.

Zusätzliche Referenz

1.     Hoare, C.A.R (2002).: Assertions: A Personal Perspective. In: Broy, M., Denert, E. (Eds): Software Pioneers, Springer, Heidelberg. 357-366

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