Freitag, 23. März 2012

Studieren ja, aber was und wo?

Ehe ich auf die Themen eingehe, die ich früher in meinen Vorlesungen mit meinen studentischen Zuhören diskutierte, will ich einen Fragekomplex aus dem Weg räumen, der für Studierende keine Relevanz mehr hat, dafür aber umso mehr für Abiturienten. Es beginnt mit der Frage, soll man überhaupt studieren. Erst daran ergibt sich die Frage des Studienfaches und des Studienorts.

Das Abitur ist keine Berufsausbildung. Die gewinnt man in praktischen Fächern bei uns durch eine Lehre. Es gibt einige Berufe, bei denen die Lehre (fast) das Abitur voraussetzt. Die so genannte gehobene Laufbahn im Staatsdienst (Inspektor) hat diesen Charakter. Wer lieber gleich Geld verdienen will, kann dies natürlich auch tun. Ich rate jedoch nicht dazu. Die 25 beliebtesten Ausbildungsberufe hat der Gewerkschaftsbund (DGB) im Netz gelistet. Falls die Abi-Noten gut genug zum Studieren (also besser als 3.0 im Schnitt) sind und man bereit und in der Lage ist, drei bis fünf Jahre lang auf eigenes Einkommen zu verzichten, dann sollte man studieren. Man beachte die beiden Bedingungen!

Über das Was, also die generelle Entscheidung, ob Arzt, Ingenieur oder etwas anderes, habe ich bereits ausführlich vor einigen Wochen diskutiert. Ich möchte daher nur einige Details nachtragen.

Ingenieure (oder Ingenieurinnen) gibt es in Elektrotechnik, Maschinenbau (dazu gehören Fahrzeug + Flugzeugbau), Verfahrenstechnik und anderem. Die Informatik nennt sich zwar nicht so, ist aber im Grunde auch Ingenieurtechnik. Sie hat sich bei uns einen Namen gegeben, der mehr an Mathematik als an Ingenieurwesen anklingt. Nur die Uni Stuttgart hat dies zu korrigieren versucht und hat neben der Informatik den Studiengang Softwaretechnik eingerichtet. Es ist ein schlechter Name (da ein Bautechniker etwas anders ist als ein Bau-Ingenieur) und ein Einzelfall geblieben.

Wer glaubt, dass man als Informatiker auch etwas von Betriebswirtschaft (BWL) verstehen sollte, der sollte Wirtschaftsinformatik studieren. Neben Wirtschaftsingenieuren (einer Kombination von allgemeiner Technik und BWL) beziehen sie die Spitzengehälter von allen akademischen Berufen. Die Gehälter sollten aber nicht den Ausschlag geben, sondern die Überzeugung, dass man es schafft, zwei Fächer zu beherrschen. Man steht dann zwar auf ‚zwei Beinen‘, sitzt aber leicht zwischen zwei Stühlen. Wer es aushält, profitiert davon.

Großes Interesse finden zurzeit Fächer wie Umwelttechnik und Biotechnik. Sie profitieren von einer gewissen Angst, die die Menschen ergriffen hat, dass viele Techniken auch schlechte Folgen haben können, etwa die Nukleartechnik. Um nicht ganz als Technik-Freak verschrien zu werden, liste ich noch einige Fächer, die man auch studieren kann. Beginnen möchte ich mit Betriebswirtschaft, ohne die kein Betrieb existieren kann. Daneben gibt es Volkswirtschaft, nur interessant, wenn man Politiker zum Beruf machen will. Dasselbe gilt für Soziologie. Für naturwissenschaftlich Interessierte gibt es Physik, Chemie und Biologie, die man von der Schule her kennt. Für Physiker gibt es kaum Berufe (seit die optische und die nukleare Technik ausgewandert bzw. in Verruf geraten sind), für Chemiker gibt es keine schönen Berufe. Ein verwandtes Studium, das da besser dran ist, ist das der Pharmakologie. Die Lehrberufe sind wichtig und (da generell im Staatsdienst) auch relativ sicher. Spezialisieren kann man sich auf Mathematik, Physik, Deutsch, Sprachen, Musik, Geschichte oder Sport. Soviel dazu.

Bei der Frage des Wo gibt es zunächst drei Antworten: Unis, Fachhochschulen (FH) oder Duale Hochschule. Beginnen wir von hinten.

Duale Hochschulen, früher Berufsakademien genannt, gibt es nur in Baden-Württemberg und Sachsen. Sie wurden von Firmen der Region gegründet, um jüngere und besser ausgebildete Leute zu bekommen als von den traditionellen Hochschulen (FH und Unis). Hinter vorgehaltener Hand sagt man noch, dass die Leute weniger verdorben sind. Es ist ein Erfolgsmodell. Die Firmen lernen die Leute gleich nach dem Abitur kennen. Man hat genügend Bewerber und nimmt nur die Besten. Für die Studenten hat es den großen Vorteil, dass sie ab 18 Jahren einen festen Arbeitgeber haben und nicht erst ab 23 Jahren. Gegenüber Leuten, die mit 23 Jahren von der Uni kommen, kennt man das Berufsleben bereits fünf Jahre lang. Man hat schon fünf Dienstjahre, wenn andere am Punkt Null anfangen. Die Firmen machten beste Erfahrungen mit dieser Ausbildungsform. Die Leute sind zielstrebig und praktisch. Die Nachteile sind dieselben wie bei FHs.

In allen technischen Fächern haben Abgänger von Fachhochschulen denselben, ja fast einen besseren Ruf als die Absolventen von Unis. Sie werden daher bei der Einstellung bevorzugt. Ein großes Problem besteht für die Absolventen darin, dass sie nicht promovieren können. Dies ist für Ingenieure weniger wichtig als für Mediziner oder Chemiker. Weniger als 10% aller Ingenieure promovieren. Es gibt trotz vieler Reformen immer noch keine Durchlässigkeit. Eine FH nennt sich heute meistens ‚Hochschule für Angewandte Wissenschaften‘, englisch ‚University of Applied Science‘. Der Name verrät zweierlei: Sie wären sehr gerne Universitäten. Sie machen keine (reine) Wissenschaft.

Zu den Unis gehen im Grunde alle unsicheren Kandidaten sowie die wissenschaftlich veranlagten. In den technischen Fächern ist dies etwa ein Drittel der Abiturienten. Für Medizin, Jura, Soziologie und Philosophie ist es die Mehrzahl. Außer in Medizin ist die Ausbildung nicht primär auf die praktische Berufstätigkeit ausgerichtet. Diese wird nur nebenher erwähnt. Der Schwerpunkt liegt auf Forschung (was immer man darunter versteht) und der akademischen Lehre. Dazu muss man wissen, dass Unis nicht nur ihren eigenen Nachwuchs ausbilden müssen, sondern auch den für Duale Hochschulen und Fachhochschulen. Für beide nimmt man als Dozenten gerne Leute mit Promotion. Um es überspitzt zu sagen: Das Uni-Studium ist die schlechteste Berufsvorbereitung, ist aber im Gegensatz zu den beiden Alternativen nach oben offen. Wer möchte schon gerne gegen eine (wenn auch künstliche) Wand rennen?

Die besten Technischen Hochschulen liegen in Süddeutschland, und zwar in München und Karlsruhe. Aachen und Darmstadt haben ebenfalls einen guten Ruf, aber nicht unbedingt in allen Fächern. Dortmund, Dresden und Berlin sind recht groß, haben aber nicht den Ruf der zuerst genannten. Der Ruf einer Uni hängt davon ab, wen man frägt. Hier war es die Sicht von Professoren. Diese beachten vor allem die wissenschaftliche Anerkennung ihrer Kollegen, aber auch die Zahl und die Ausstattung der Lehrstühle. An diesen Unis ist der Andrang von Studenten am größten. Die Zimmer sind knapp und teuer. Urteilen Studenten, kommt eine ganz andere Reihenfolge heraus. Es zählen dann die Studienbedingungen, nämlich das Verhältnis von Professoren zu Studenten (vor allem das Zahlenverhältnis), die Ausstattung der Bibliothek und des Rechenzentrums sowie das Wohnungsangebot. Dabei schneiden kleine Unis in kleinen Städten am besten ab, etwa Eichstätt und Ilmenau. Ostdeutsche Hochschulen haben oft beides, gute Professoren und gute Studienbedingungen.

Das Thema, wie man sich auf eine Stelle bewerben soll, kommt als Nächstes. Es ist eine Frage, die auch für das Studium sehr wichtig ist. Man muss nämlich alle Dinge von hinten denken. Bekanntlich kann Angela Merkel, die studierte Physikerin, das besser als viele andere Leute.

Donnerstag, 15. März 2012

Keine Karriere ohne Hilfe Dritter

Mit dem letzten Blog-Eintrag habe ich möglicherweise bei einigen Lesern den Eindruck erweckt, als ob ich in meiner Jugend und in den frühen Berufsjahren ein wahrer Selfmademan – um nicht zu sagen Trotzkopf oder gar Dickschädel – gewesen sei, der jedweden Rat und jede Hilfe ablehnte. Dem war nicht so. Das wissen alle, die mich kennen. Ich möchte deshalb hier eher das Gegenteil betonen: Niemand kann Karriere machen, wenn ihm seine Umgebung nicht hilft. Man muss dabei allerdings eine saubere Linie ziehen und darf sich nicht korrumpieren lassen. Dann darf man sogar die Namen nennen. Da man diese nicht blamieren will, folgt zwangsläufig, dass man gewisse Maßstäbe an sich selbst legt. Auch der Fall Christian Wulff erinnert an dieses Problem.

Im Grunde wurde ich – um es ehrlich zu sagen - in meiner Jugend sogar mehr geschoben, als dass ich selbst initiativ wurde. Mir wurden Türen geöffnet, von denen ich manchmal nicht wusste, dass sich dort eine Tür befand. Hindurch gehen musste ich dann selbst, sogar auf die Gefahr hin, dass ich dabei stolpern könnte.

Es begann in der einklassigen Volksschule. Der Lehrer ließ mich, wenn Rechnen anstand, schon nach einem halben Jahr mit der nächsthöheren Jahrgangsgruppe zusammenarbeiten. Nach drei Jahren empfahl er meinem Vater, mich im Gymnasium anzumelden. Da ich einen jüngeren Bruder hatte, war mein Vater bereit, ein Opfer zu bringen. Für das Fortbestehen des Hofes gab es eine Lösung.

Während meine Gymnasiallehrer nur verhältnismäßig geringen Einfluss auf meine Berufswahl und meinen Berufsweg hatten, war dies bei meinen Professoren an der Universität ganz anders. In einem Bericht [1] über meinen Studienaufenthalt in den USA schrieb ich:

Nichts hat meinen beruflichen Werdegang und damit mein Leben mehr beeinflusst als mein Studienaufenthalt in Amerika. Auch behaupteten meine Bonner Professoren, ich sei dadurch ein ganz anderer Mensch geworden als der, den sie vorher kannten, viel freier im Auftreten und klarer bei der Verfolgung meiner Ziele. Da dieser Schritt nicht einmal von mir ausging, zeigt sich hier, welche Rolle das Schicksal oder die Vorsehung spielen können. Oder sind es wohlwollende Mitmenschen, die sich als „lenkende Hand“ betätigen?

Mir wurde als einzigem Studenten im Semester ein Stipendiatsplatz angeboten, auf den das Institut einen traditionellen Anspruch erhob. Eine Rolle spielten dabei meine Noten im Vordiplom und meine Leistungen als studentische Hilfskraft, sowie die übrigen Qualifikationen, die meine Bewerbung im bundes- und fächerweiten Wettbewerb als erfolgversprechend erscheinen ließ.

In der Firma, in der ich 35 Jahre lang tätig war, wurden wichtige Personalentscheidungen nicht nach den gleichen archaischen Methoden getroffen, wie damals an der Universität. Es gab für alle Mitarbeiter einen so genannten Entwicklungsplan. Auch wenn Entscheidungen möglichst nicht von Einzelnen getroffen wurden, waren es jedoch immer Einzelne, die Verantwortung übernahmen.

Nur so entschied es sich, an welchen Projekten ich teilnahm, welche Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ich genoss, welche Auslandsabordnungen in Frage kamen und welche Führungsaufgaben mir schließlich anvertraut wurden. Ich weiß, dass auch in meinem Falle bestimmte (meist ältere) Kollegen ‚ihren Kopf hinhielten‘. Sie haben mir dies nicht gesagt. Erst recht haben sie damit nicht geprahlt oder – da sie sich ja auch irren konnten – mir keine Vorwürfe gemacht. Ich kann nur Vermutungen anstellen. Einige von ihnen leben nicht mehr.

Ich bin heute der Auffassung, dass diejenigen Kollegen und Vorgesetzten mich am meisten förderten, diejenigen waren, mit denen ich mich fachlich am meisten auseinandersetzte. Ich hütete mich stets, bei fachlichen Entscheidungen mich zu sehr danach zu richten, was ‚man‘ (vor allem mein Chef) für gut und richtig hielt. Der Betreffende konnte ja seine Meinung ändern, ohne mir zu sagen warum. Dann hätte ich dumm da gestanden.

In einem Falle hatte ich drei Jahre lang um ein Produkt gekämpft. Die Mitarbeiter hatten sehr gute Arbeit geleistet. Als Software-Produkt stellte es den Stand der Technik dar. Auf die Qualität konnten wir stolz sein. Inzwischen hatte die Hardware-Entwicklung enorme Fortschritte gemacht, so dass die zu Beginn des Projektes bestandenen Speicherlimitierungen wegfielen. Obwohl die Entwicklerkosten weitgehend hinter uns lagen, lagen andere Kosten vor uns, die ebenso groß, wenn nicht größer waren. Am Schluss musste ich mich geschlagen geben. Ein Executive der Firma meinte: ‚Herr Dresen, Sie haben sehr schön gekämpft, jetzt reicht es. Es gibt noch andere interessante Projekte.‘ Ich brauchte einige Zeit, um meine ‚Niederlage‘ innerlich zu verdauen. Derselbe Executive rückte später zum Vizepräsidenten auf. Bei Niemandem hatte ich es leichter, Gehör zu finden, in welchen Angelegenheiten auch immer.

Einem Fachkollegen von einer süddeutschen Universität hatte ich sehr früh gesagt, dass ich in einer wesentlichen fachlicher Frage anderer Meinung sei als er. Wir blieben dennoch Jahrzehnte lang im Kontakt. Er schätzte mein Urteil und wir tauschten uns über alle möglichen Fragen und Probleme aus. Ich nehme an, er wollte nicht nur Meinungen hören, die er bereits kannte.

Übrigens fielen mir gerade meine Notizen in die Hände, in denen ich mir stichwortartig aufgeschrieben hatte, welche Berufsberatung ich meinen Studenten gab. Es sind neun Themen, von Bewerben über Gehaltsfindung bis Auslandsstudium. Ich griff immer eines auf, wenn ich mit dem geplanten Stoff der Vorlesung schneller als üblich fertig war. Meine Zuhörer schätzten dies sehr. Studierenden aller Fakultäten rate ich daher dran zu bleiben, also diesen Blog mal wieder zu besuchen. Es lohnt sich. Wie immer, versprechen tue ich nichts.

Referenz

1. Der Artikel ist einer von 70 auf der CD Gunst und Kunst des Reisens. Sie wurde in meinem Freundes- und Bekanntenkreis verteilt. 

Samstag, 10. März 2012

Abi 2012: Opas Predigten zur Berufswahl

Dieser Tage macht meine 18-jährige Enkeltochter ihr Abitur. G8 heißt das. Sie war bis vor kurzem noch wie ein Kind. Immer wieder ermahnte mich meine Frau, doch dem lieben Kind bei der Berufswahl zu helfen. Ich wollte nicht. Man kann Kindern nichts raten, meinte ich. Die lassen sich von Erwachsenen ungern etwas sagen. Das war früher bei uns so und ist bestimmt heute wieder so, eher noch ausgeprägter.

Ich beschränkte meine Berufsberatung auf zwei oder drei Gelegenheiten, wo ich wusste, dass das Mädchen zuhören würde, so bei ihren Geburtstagsfeiern im Familienkreise. Es sei noch bemerkt, dass dies nur die Nebenfeiern waren. Wirklich gefeiert wurde immer mit Gleichaltrigen, ohne Großeltern und Verwandte. Bei diesen Predigten bemühte ich mich, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Der erste Punkt war, dass ein Beruf eine Lebensgrundlage sein muss. Er muss einen ernähren, und zwar ausreichend. Daraus folgt, er muss angesehen und nützlich sein. Ein Beruf ist auf der Skala der von Menschen ausgeübten Tätigkeiten als Profession anzusehen, wenn nicht jeder ihn ohne Vorkenntnisse ausüben kann und wenn er einen Nutzen für Mitmenschen und Gesellschaft erbringt. Kunstgeschichte und Psychologie sind das nicht. Theologe ist es nicht mehr. Im Grunde sind es nur zwei Berufe, Ärzte und Ingenieure. Mehrere Betriebswirte, die zuhörten, mussten kräftig  schlucken.

Der Arztberuf ist mehrere Tausend Jahre alt. Die Menschen haben Ärzte immer geachtet und ihre Hilfe in Anspruch genommen, lange bevor die Medizin zur Wissenschaft wurde. Ingenieure waren früher Mechaniker oder Architekten. Ihr Ansehen war und ist dem von Ärzten nicht vergleichbar. Dennoch tun sie etwas, was für die Mitmenschen sehr wichtig ist. Ich riet meiner Enkeltochter sich zu fragen, ob sie den Arztberuf aushält, d.h. ob sie Blut sehen kann und dauernd mit Kranken umgehen möchte. Sie sollte sich dafür ein halbes Jahr Zeit nehmen, um sich darüber klarzuwerden. Wenn sie es nicht aushält, sollte sie Ingenieur werden, so wie  ihre Eltern und ihr Großvater.

Von den gelegentlichen Predigten abgesehen, bombardierte ich meine Enkeltochter regelmäßig mit Tipps aller Art. Es waren dies meist Links zu schönen Geschichten von erfolgreichen Frauen in technischen Berufen oder zu Statistiken mit vergleichenden Gehaltsangaben. Eigentlich benötigte sie diese Informationen nicht. Sie hatte genug Beispiele in ihrem Familien- und Bekanntenkreis. Ein Jahr vor ihrem Abitur ging meine Enkeltochter eine Woche als Praktikantin in ein Krankenhaus. Nach dem was sie uns wissen lässt, will sie im Moment Ingenieur werden. Dazu muss ich sagen, dass sie eine der Besten ihres Jahrgangs in Mathematik ist und Physik ihr Spaß macht.

Letzte Woche schob ich ihr mal wieder einen Link zu. Es war der Blog-Eintrag eines gewissen Marc Hack mit dem Titel „18 Sachen, die man mir hätte sagen soillen, als ich 18 war“.  Ich fand das, was hier ein 28-jähriger von sich gab, alles sehr altklug. Umso mehr war ich überrascht, als ich nach vier Stunden folgende Antwort bekam:

Vielen Dank für den Link - Ich habe den Artikel gerade gelesen und finde diese Tipps echt hilfreich. Ich versuche sie in Zukunft einzusetzen und davon zu profitieren. Jetzt habe ich auch das Gefühl, dass ich weiß, was ich will. Danke!

Die in diesem Blog verkündete Philosophie kam mir etwas extrem vor, aber nicht unsympathisch. Regel Nummer 1 heißt nämlich: Verpflichte Dich dazu Fehler zu machen! Nur so lernst Du. Die zahlreichen Kommentare (über 150), die der Autor bekam, machten mich als Blog-Schreiber geradezu neidisch.

Mir fiel ein, dass ich mir für meine Entscheidungen sehr stark ein anderes Prinzip zu eigen machte, nämlich: Wichtiger als etwas zu wollen, ist zu wissen, was man nicht will. Bei vielen Entscheidungen, die ich in meinem Leben zu treffen hatte, ging ich von gut gemeinten Ratschlägen aus, bei denen ich mir klarwerden musste, warum ich sie nicht befolgen würde. Es handelt sich oft um traditionelle Erwartungen, sei es in der Familie, sei es in meiner späteren beruflichen Umgebung. Obwohl andere Leute an diesen Entscheidungen beteiligt waren, traf ich sie im Grunde doch allein.

Im Folgenden greife ich vier Beispiele heraus, von denen jede eine ganz andere berufliche Ebene betrifft. Ich spreche über sie, nicht weil ich glaube, dass ich besonders klug gehandelt habe, sondern weil ich weiß, dass auch andere Menschen in solche Situationen kommen können. Ich kann mir vorstellen, dass meine Überlegungen andern Menschen von Nutzen sein können, vor allem jungen Menschen,

Kein Geistiger oder Geistlicher, sondern Ingenieur

Ich stamme aus einer bäuerlichen katholischen Familie, wo es geradezu erwartet wurde, dass wenigstens ein Junge in der Familie Theologe wird. Es bestand sogar eine klare Tradition. Zwei Vettern meines Vaters waren Theologen, einer von ihnen Professor am Trierer Priesterseminar. Ein Onkel meiner Mutter leitete das Cusanus-Stift im Moselstädtchen Bernkastel-Kues. Mein ältester Vetter erhielt – als ich das Abitur machte - gerade die Priesterweihe und darauf seine erste Pfarrstelle in der Eifel. Zwei Schwestern meiner Mutter waren als Oberinnen im Kloster und sehr angesehen und beliebt in der Familie. Die eine leitete das Kloster Nonnenwerth, das auf einer schönen Insel mitten im Rhein liegt und ein Gymnasium betreibt. Die andere leitete ein Heim, in dem körperlich und geistig behinderte Kinder betreut wurden, zuerst in Schönecken in der Eifel, danach in Rheydt. Es fehlte nicht an Bemühungen, ehe die Familie ihre Hoffnung aufgab, mich in diese Richtung lenken zu können.

Ohne über meine religiösen Überzeugungen im Einzelnen zu sprechen, möchte ich sagen, dass ich mich nicht in der Lage sah, in allen Lebenssituationen eine aus der Religion hergeleitete Antwort als angemessen und maßgebend zu betrachten und dafür bei andern Menschen zu werben. Auch der Versuch meines Mathe-Lehrers mich für ein Philologie-Studium mit Mathematik als Schwerpunkt zu begeistern, schlug fehl. Wörtlich sagte ich ihm: „Ich gehe doch nicht in die Schule, um wieder in die Schule zu gehen“. Ich wollte lieber meine Mathe-Fähigkeiten und -Kenntnisse anwenden als nur weitergeben.

Kein Berufsbeamter, sondern Angestellter in der freien Wirtschaft

Nach meinem Vordiplom war ich als Austauschstudent in den USA. Als ich nach Deutschland zurückkehrte, hatten meine Semesterkollegen fast alle ihr Diplomexamen hinter sich und traten Stellen als Referendar an. Dem folgte die Assessor-Prüfung und – in den meisten Fällen eine lebenslange Anstellung als Beamter. Danach lockte ein gut situierter Ruhestand. Ich dachte zunächst viel kurzfristiger. Ich hatte in den USA elektronische Rechner kennen gelernt. Ich wollte zunächst meine Kenntnisse vertiefen (und eventuell promovieren). Ich ließ die Anwartschaft auf eine Referendarstelle verfallen und trat ‚ins kalte Wasser‘.

Aus dem Praktikum wurde eine 35-jährige Festanstellung. An interessanten Aufgaben bestand kein Mangel. Wir vertraten eine Spitzentechnologie und moderne Prinzipien der Unternehmensführung und hatten internationale Kontakte und Projekte. Wir taten etwas, von dem wir wussten, dass viele Leute es wertschätzten. Viele unserer Kunden waren auf unsere Maschinen und Programme angewiesen. Ohne sie konnten sie ihr anspruchsvolles Geschäft nicht bewältigen.

Keine internationale, sondern eine nationale Karriere

Die Firma förderte und ermöglichte die Ausdehnung der beruflichen Laufbahn ihrer Mitarbeiter über Deutschland hinaus. Ein zweiter USA-Aufenthalt – diesmal mit Familie – machte klar, welche internationalen Karriere-Möglichkeiten sich boten, und was es heißt, im Ausland zu leben. Manche Kollegen setzten ihre Karriere in Amerika fort, ja wurden Amerikaner. Das hätte bedeutet, alle in Deutschland und Europa bestehenden Kontakte zu vernachlässigen.

Ich entschied mich dagegen. Das Leben in Europa erschien mir attraktiver als das in Amerika. Man ist näher an Highlights der Kultur und Touristik. Die Gesellschaft ist homogener. Für die Kinder ist es eher ein Nachteil in Europa aufzuwachsen.

Kein Vollzeit-Professor, sondern nur Lehrbeauftragter

Viele Kollegen kehren der Industrie nach einigen Jahren den Rücken. Dies geht bis zum 45. Lebensjahr durch einen Sprung zur Hochschule. Die technischen Fächer sind darauf angewiesen, die Qualität der Ausbildung zu verbessern, indem sie auch Erfahrungen aus der Praxis im Lehrangebot berücksichtigen.

Ich musste mich in diesem Falle nicht entscheiden. Da die Firma dies zuließ, konnte ich beide Welten kombinieren. Ich konnte als Lehrbeauftragter Anregungen von beiden Seiten empfangen, von Wissenschaft und Praxis, und Anstöße in beide Richtungen geben. Nach meiner Industrie-Laufbahn war ich noch vier Jahre lang Vollzeit-Professor.

Am Ende dieser Predigt steht kein Amen, sondern ein Toi Toi Toi. Das Abi ist kein Ende, sondern ein Anfang. Entscheidungen, die man jetzt trifft, sind nicht endgültig. Sie können korrigiert werden. Voraussetzung ist, dass man nicht aufhört zu lernen. Wie man dies am besten macht, sagt Marc Hack unter Nummer 11: Rede mit andern Leuten und Nummer 13: Stelle Fragen.

PS. Was ich bei früherer Gelegenheit zum Thema  Professionalität von mir gab, schien auf großes Interesse gestoßen zu sein. Der entsprechende Eintrag war lange Zeit Spitzenrenner in diesem Blog bezüglich der Zahl der Besucher.