Freitag, 28. September 2012

Hermann Hesse – doch ein Kultautor?

Im August widmete der Spiegel (Heft 32/2012) sein Titelbild und seine Titelgeschichte dem Dichter und Schriftsteller Hermann Hesse, und zwar aus Anlass seines 50. Todestages. Auch unsere lokale Presse gedachte seiner, stammt er doch aus unserer Nachbarstadt Calw. Hier wurde Hesse am 2. Juli 1877 geboren. Gestorben ist er am 9. August 1962 im Alter von 85 Jahren in Montagnola am Luganersee in der Schweiz. Ein Besuch in Hesses Geburtshaus ist für jeden Literaturfreund ein Muss. Man wird dort an Hesses Wurzeln in einer pietistischen Missionarsfamilie, an seine Jugendzeit auf schwäbischen Schulen und seine Lehrzeit bei einem Tübinger Buchhändler erinnert.

Drei seiner Werke werden immer wieder hervorgehoben. Es sind dies Siddhartha (1922), Der Steppenwolf (1927) und Das Glasperlenspiel (1943). Die Wikipedia-Texte bringen ausführliche Würdigungen. Von allen drei gibt es Neuauflagen, sowohl auf Papier wie elektronisch. Da Siddhartha bei Skoobe als Teil des Abos praktisch kostenlos angeboten wird, habe ich es dieser Tage zum ersten Mal gelesen. Der Inhalt ist bei Wikipedia und an vielen andern Stellen wiedergegeben. Ich beschränke mich daher darauf zu beschreiben, wie das Werk auf mich wirkte. Dazu muss ich sagen, dass ich längst kein Jugendlicher mehr bin, und höchstens noch in der Rolle eines Großvaters erzieherisch zu wirken pflege.

Es ist ein Erziehungsroman, vergleichbar mit dem ‚Emile‘ von Roussau. Wie Rousseau so befasst sich auch Hesse damit, was Erziehung mit dem Menschen tun darf und was nicht. Seine Botschaft klingt auch heute, 90 Jahre nach der Verkündung, ziemlich revolutionär. Erziehung darf keinerlei Theorie verwenden, keine Lehre, erst recht kein Dogma. Jeder Mensch muss selbst zur Weisheit gelangen. Erst wenn er die Phasen der Suche und Verzweiflung überwunden hat, gelangt er zu jener Weisheit, die über allen Dogmen und Lehren steht. Jedes Kind muss den eigenen Weg gehen, zu dem es berufen ist. Es zählen nur die eigenen Taten, das eigene Leiden. Lehrer und Eltern sind machtlos. Wissen kann man mitteilen, Weisheit jedoch nicht.

Die Menschheit besteht aus zwei großen Gruppen, den Kindermenschen und den Denkmenschen. Bei den ersten sind es Triebe, die zu Leistungen führen, etwa zur Sorge um Angehörige, aber auch zu Wohlergehen und Reichtum. Die Angehörigen der zweiten Gruppe müssen drei Dinge lernen, nämlich Denken, Warten und Hungern. Sie erreichen Perfektion, indem sie die Silbe ‚Om‘ sprechen lernen. Sie werden erkennen, dass in der Welt alles im Fluss ist. Das Wasser fließt zum Meer und kommt als Wolke zurück. Ein Stein zerfällt, wird zu Ackerkrume und danach zu Leben als Pflanze, Tier oder Mensch.

Ich frage mich, wieso dieses Buch von Hesse zu einem Kultbuch geworden ist (neben einigen anderen desselben Autors). Es spiegelt angeblich das Lebensgefühl der Jugendlichen (vor etwa 50 Jahren) besonders gut wider. Das Losreißen von Eltern (und deren Generation) ist seit Jahrtausenden Teil des Reifeprozesses. Es ist das Recht und die Pflicht der Jugend, eigene Lösungen zu finden und eigene Wege zu gehen. Für die Ältern (und die Eltern) gibt es zwar kein Recht, den Kindern Vorschriften zu machen, sie haben jedoch die Pflicht ihren Kindern (oder andern Leuten) zu helfen, ihren Weg zu finden. Mit diesem Dilemma müssen alle Pädagogen fertig werden, angefangen in der Kindergrippe bis zur Hochschule.

Der Spiegel gelangte in seiner Titelgeschichte übrigens zu folgendem Fazit: Hesse ist aktueller denn je. Seine großen Themen – der Lebensentwurf des Einzelnen, der Schutz der Natur oder die Suche nach einem höheren Seinszweck als dem Konsum – bewegen auch heute viele Menschen.


Ganges-Ufer in Varanasi

Hesses Beschäftigung mit der buddhistischen Philosophie und der asiatischen Weltsicht begann 1911 nach einer Reise nach Sri Lanka und Indonesien. Obwohl der Siddhartha Gautama, genannt Buddha, aus Indien stammte, ist dort seine Religion durch den Hinduismus so gut wie verdrängt. Der Ort, an dem sich der Held der Erzählung mit dem historischen Buddha getroffen haben soll, liegt im Wildpark bei Isipatana (dem heutigen Sarnath), in der Nähe von Varanasi (dem früheren Benares). Bei einer Indienreise im Jahre 1995 haben wir diesen Ort besucht. Das Buch erinnert mich besonders an zwei Stationen dieser Reise.


Transport zum Ganges

In Varanasi machten wir eine Bootsfahrt auf dem Ganges, entlang den Gats. Hier führen hohe Stufen zum Fluss. Auf den Stufen herrscht geschäftiges Treiben. Um die aufgehende Sonne würdig zu begrüßen, steigen Männer und Frauen, nur ein leichtes Tuch um den Körper geschlungen, in die Fluten. Dabei tauchen sie unter und waschen sich.


Sadu (Weiser Mann)

Am gespenstigsten sind die brennenden Scheiterhaufen, die auf halber Höhe der Stufen zu sehen sind. Sie dienen der Leichenverbrennung. Die Asche der Toten wird anschließend dem Ganges übergeben. Manche Leute fahren auch in Ruderkähnen auf den Fluss und lassen kleine Blumengebinde mit Kerzen davonschwimmen. In Varanasi zu sterben, oder wenigstens verbrannt zu werden, spielt in der religiö­sen Überlieferung der Hindus eine besondere Rolle. In der Stadt begegnete uns ein Auto von der Größe eines Lieferwagens, das eine Leiche zum Ganges brachte. Überhaupt gibt es keine indische Stadt, in der man mehr bunt gekleidete, langhaarige Männer sieht. Sie haben sich vom Irdischen abgewandt und widmen sich einem Leben entsprechend der hinduistischen Lehre. Sie heißen Sadus (weise Männer).


Tempel in Khajuraho

Der andere, geradezu irreal wirkende Ort war Khajuraho. Hier gibt es eine Gruppe von fast 100 Hindu-Tempeln in einem Waldgelände, die mit Steinplastiken verziert sind. Sie stellen nämlich Sexposen jeder Art dar. Die Tempel stammen aus der Zeit zwischen 900 und 1100 unserer Zeitrechnung. Um diese Zeit wich das Herrschergeschlecht der Chandellas vor den muslimischen Eindringlingen nach Osten aus. Sie hingen dem tantrischen Hinduismus an. Nach dieser Lehre verdanken Männer ihre Kraft nur den Frauen, mit denen sie Umgang pflegen. Man hat diese deshalb als Göttinnen verehrt und in Stein verewigt.


Tempelfiguren

Der Siddhartha in Hesses Buch wie der historische Buddha waren Brahmanensöhne. Ein Brahmane ist ein Mitglied der obersten Kaste im hinduistischen Kastensystem. Im heutigen Indien stellen sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung dar und arbeiten in allen Berufen. Noch in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts reisten viele Jugendliche aus Europa und den USA als Aussteiger durch Indien. Einige von ihnen sollen von Hesse dazu animiert worden sein. Sie hofften wie einst Buddha unter dem Bodhi-Baum ihre Erleuchtung zu finden.

Montag, 24. September 2012

Können gentechnisch veränderte Nahrungsmittel Krebs verursachen?

Am 14.9.2012 schrieb Alice Endres, eine besorgte Bäuerin aus Meckel in der Eifel:

Bin vor vier Stunden von Berlin zurück, war auf einer öffentlichen Konferenz zur Gentechnik und deren Auswirkungen. Habe zwei Frauen aus Argentinien kennengelernt, Sofia Gatica und Maria del Milagro, organisiert bei "Mütter von Ituzaingo", die über die Ausbringung von Glyphosat in den ländlichen Regionen in Verbindung mit dem Zusatzstoff Tallowamine berichteten. Dieser Zusatzstoff ist bei uns mittlerweile verboten, weil er nachgewiesenermaßen karzinogen ist. Die beiden Frauen haben ihre Kinder durch Krebs verloren, und haben ermittelt, dass über 33% der Bevölkerung durch Tumore sterben und 80% der Bevölkerung dieses Totalherbizid im Blut und/oder Urin haben.

Diese Totalherbizide werden zunehmend bei von Gentechnik veränderten Aussaaten eingesetzt. In Argentinien wurden 1996 mit 3,2 Liter pro Hektar, 2011 mit 12 Liter pro Hektar ausgebracht mit einem Flugzeug, flächendeckend. Bei uns verwenden die Bauern Glyphosat mit 200 Gramm pro Hektar. Es wird aber auch leider mit staatlicher Empfehlung zur Abreife des Getreides empfohlen. Frankreich hat erstmals eigene Studien zum Glyphosat gemacht, und dies dann verboten.

Für mich gibt es aber einen Unterschied zwischen Gentechnik allgemein und Grüner Gentechnik, die nur seitens Monsanto dazu entwickelt worden ist, um für das Totalherbizid Roundup Ready für Mais und Soja wirtschaftliche Vorteile zu erzielen und um dadurch das Monopol für das Hybridsaatgut Soja und Mais zu erhalten. Die Bauern dürfen/können ihr eigenes erzeugtes Saatgut nicht mehr anbauen, müssen für jede Aussaat neues zertifiziertes Saatgut von Monsanto, Bayer oder Syngenta einkaufen. Das ist laut Tradition der Bauern nicht rechtens, und wirtschaftlich nicht verträglich. Die grüne Gentechnik verfolgt leider nur wirtschaftliche Interessen, die für die Bauern nicht von Vorteil sein können.

Es gibt aber auch die Rote und Weiße Gentechnik. Diese ist eine Weiterentwicklung in der Humanmedizin. Diese kann ich persönlich durchweg befürworten. Diese hilft Genkrankheiten entgegenzutreten. Die Politik denkt nur Schwarz oder Weiß, das Leben befindet sich aber im grauen Bereich. Wie kann man das politisch bewerkstelligen?

Worüber die beiden Argentinierinnen in Berlin berichteten, waren Krebserkrankungen, die von Pflanzenschutzmitteln, den so genannten Pestiziden, verursacht wurden. Hierüber gibt es bereits seit Jahrzehnten zuverlässige Daten, die zu konkreten nationalen und EU-Richtlinien Anlass gaben. Das war also eigentlich Schnee von gestern, sofern es um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit geht.

Anders ist es bei dem Thema der durch Gentechnik veränderten Lebensmittel. Hier ist die Diskussion voll im Gange. Da ich mich bisher damit nicht befasst hatte, habe ich mit der Überschrift dieses Beitrags gegoogelt. Man findet sehr schnell eine Vielfalt von Meinungen. Hier einige Fundstücke, die sich teils überlappen, teils ergänzen:

Bei Bionet, einem Projekt von acht europäischen Museen und Science Centern, heißt es:

Sind gentechnisch veränderte Lebensmittel gefährlich, oder haben die Menschen einfach nur Angst vor etwas Neuem?

Über die langfristigen Risiken der gentechnischen Veränderung von Lebensmitteln kann bisher nur wenig ausgesagt werden. Vielleicht bringt die gentechnische Modifikation von Lebensmitteln auf lange Sicht Veränderungen mit sich, die unerwünscht oder auch direkt gefährlich sind. Menschen könnten erkranken oder unfruchtbar werden. Die genetische Vielfalt der Natur könnte gefährdet werden. Mit absoluter Sicherheit kann man das heute nicht sagen.

Im Food-Info.net unter Fragen & Antworten zur Biotechnologie heißt es:

Können gentechnisch veränderte Lebensmittel Krebs verursachen?

Veröffentlichungen zum Thema Toxizität gentechnisch veränderter Lebensmittel sind bisher nur gering vorhanden, beschränkt auf wenige Tierversuche. De facto existieren keine klinischen Studien, die den Effekt von GVO-Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit untersuchen. Tierversuche mit Ratten haben gezeigt, dass GVO-Lebensmittel negative Auswirkungen haben können, so kann zum Beispiel die Wirksamkeit einiger Antibiotika eingeschränkt sein, Allergien können auftreten sowie die Verdauungstätigkeit eingeschränkt werden. Trotz allem konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel Krebs verursachen können

Bei den 100 Fragen der Krebs-Hilfe Wien heißt es zur Frage 30:

Sind gentechnisch veränderte Lebensmittel bedenklich?

Die Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel wird sehr kontrovers und emotional geführt. Die für den Handel zugelassenen gentechnisch veränderte Lebensmittel sind streng kontrolliert und stellen für den Konsumenten kein gesundheitliches Risiko dar. In Zusammenhang mit dem Krebsrisiko verhalten sie sich im Übrigen nicht anders als konventionelle Lebensmittel.

Bei Greenpeace, der Initiative zum Schutz der Umwelt, steht zu lesen:

Fremde Gene, künstlich eingebracht in Lebens- oder Futtermitteln, können neue Inhaltsstoffe verursachen und so zu Allergien, Immunschwächen oder anderen Krankheiten bei Menschen oder Tieren führen. Deshalb ist die Gentechnik eine Risikotechnologie, die Gefahren für unsere Gesundheit und die Umwelt birgt!

Offensichtlich ist in der Medizin die Frage, was Krebs verursacht, alles andere als geklärt. Es ist auch keine einfache Frage, da es viele verschiedene Arten von Krebserkrankungen gibt. Unter dem Stichwort karzinogen (d.h. krebserzeugend) werden in Wikipedia u.a. folgende Klassen gebildet und mit Beispielen belegt: natürliche oder chemische Stoffe, Viren und Bestrahlungen. Die Liste ist sehr lang und wird immer länger.

Nun zu den gentechnisch veränderten Lebensmitteln: Es ist für einen Laien wie mich schwer, der Sache auf den Grund zu gehen. Das sollte normalerweise auch nicht erforderlich sein. Das ist auf andern Gebieten ähnlich. Die Materie ist zu komplex, als dass der Mann oder die Frau auf der Straße sie beurteilen können. Daher ist eine Arbeitsteilung bzw. eine Aufteilung der Verantwortungen dringend nötig.

Die einschlägige Wissenschaft muss klären, welche Zusammenhänge tatsächlich bestehen und was als Vorbeugung gegen Erkrankungen getan werden kann. Da vermutlich einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen, bis dass alle Fragen verlässlich geklärt sind, – und außerdem laufend neue Fragen aufkommen – muss die Politik dafür sorgen, dass die Bevölkerung vor möglichen Schäden geschützt wird. Es sind auch vorbeugende Maßnahmen sinnvoll für all die Fälle, die noch nicht wissenschaftlich geklärt sind. Deshalb muss die staatliche Lebensmittelkontrolle oder die Agraraufsicht sich zu einer Stellungnahme durchringen und diese verkünden – und das konkret und abgewogen zugleich. Es ist nicht Sache einer einzelnen politischen Partei, dies zu tun. Je nachdem wer es gerade tut, hört nämlich der Rest der Bevölkerung automatisch weg. Tun es die Piraten, beträgt der Rest immerhin noch 80% der Bevölkerung. Außerdem kann dies nicht nur einmal geschehen, sondern muss alle zwei bis drei Jahre erneut erfolgen, um den Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis und in den Therapie-Methoden zu berücksichtigen.

Die Politik ist auch gefordert, wann immer öffentliche Mittel für die Forschung beantragt werden. Leider hat die Krebsforschung bereits Milliarden-Summen verschlungen. Das wird sich auch so schnell nicht ändern, es sei denn, es kommt zu einem echten Durchbruch der Erkenntnisse. Wenn Ratten, die genetisch verändertes Futter erhielten, häufiger Krebs bildeten als andere, ist dies zwar ein Indiz, aber noch sehr pauschal. Nicht alle Lebensmittel wirken in gleicher Weise auf das menschliche Immunsystem; außerdem gibt es Tausende von Möglichkeiten eine bestimmte Nahrungspflanze zu verändern [Siehe Nachtrag].

Generell verfügt die Gentechnik über ein riesiges Potenzial, sowohl im Guten wie im Bösen. Es ist derzeit eines der interessantesten Forschungsgebiete in der Biologie, wenn nicht in der gesamten Naturwissenschaft. Wer heute Biologie studieren will, kann sich diesem Thema gegenüber nicht verschließen. Nicht nur in der Medizin macht man sich Hoffnungen, viele bisher als unheilbar erscheinende Krankheiten heilen zu können. Fast genauso wichtig sind die Aussichten, die sich mit ihr verbinden, um andere große Menschheitsprobleme zu lösen, zum Beispiel die Ernährung, die Energieversorgung und den Umweltschutz. Man muss wirklich fragen, ob die Welternährung bei dem anhaltend rapiden Zuwachs der Erdbevölkerung ohne moderne wissenschaftlich betriebene Landnutzung, etwa durch Hydrokulturen oder neues Saatgut, nicht zusammenbricht. Auf die denkbare Ölgewinnung und den Kohlendioxydabbau durch Algen (oder ähnliche Organismen) wurde in einem früheren Beitrag bereits kurz hingewiesen. Alle diese Beispiele kommen zwar noch ohne Gentechnik aus, sind aber mindestens so revolutionär. Durch Gentechnik wird ihr Nutzen gesteigert; die Erträge werden möglicherweise vervielfacht.

Es gibt keine Technik, deren Anwendung keine Gefahren in sich birgt, so der Auto- und Flugverkehr, die Schifffahrt und der Bergbau, und nicht zuletzt die Computertechnik. Erst seit wenigen Wochen kennen wir im Deutschen den Begriff der digitalen Demenz und haben ihn in diesem Blog diskutiert. An eine pauschale Verdammung dieser Techniken denkt niemand. Wie jede neue Technik, die wir bisher benutzten, konfrontiert uns auch die Gentechnik mit ganz neuen und eigenen Risiken. Das gilt nicht nur für ihren Einsatz im Agrarbereich. So wie man in der Medizin gelernt hat, mit den Nebenwirkungen chemischer Arzneimittel umzugehen, müssen auch für die Gentechnik die richtigen Abwägungen getroffen und Balancen gefunden werden. Dafür wird allerdings einige Zeit benötigt. Genauso wenig wie wir auf die moderne Medizin und die andern modernen Techniken völlig verzichten können oder wollen, genauso müssen wir die Potenziale der Gentechnik ins richtige Verhältnis bringen. Nehmen wir uns doch die dafür erforderliche Zeit. Das sind nicht Wahlperioden, sondern Generationen.

Meine Schlussfolgerung als Nicht-Fachmann: Größtmögliche Sorgfalt im Einsatz genveränderter Nahrungspflanzen ist unerlässlich. Verteufelung und Angstmachen jedoch ist unseriös. Damit schadet man mehr als man nützt!


Nachtrag am 26.9.2012:


Es handelt sich hier um eine Studie der französischen Universität Caen. Danach führt die Fütterung mit dem Gentech-Mais der Sorte NK603 der Firma Monsanto zu erhöhten Sterberaten bei Ratten. Dieser Mais ist in Europa seit 2005 als Lebens- und Futtermittel zugelassen.



Nachtrag am 30.1.2013:

In Spektrum der Wissenschaft, Heft 2/13 (Anhang S.18-21), warnte die Schweizer Agrarökologin Angelika Hilbeck vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Bisher wurde davon ausgegangen, dass nur die im DNA codierte Information eine Rolle spielt. Heute weiß man, dass es auch auf Einflüsse außerhalb des Gens (so genannte epigenetische 
Faktoren) ankommt. Im Falle gentechnisch veränderter Pflanzen ist deren Wirkung noch völlig unerforscht.

Sonntag, 23. September 2012

Biologie studieren – warum und wo?

Nachdem ich mich in früheren Beiträgen sehr für den Arzt- und den Ingenieurberuf ausgesprochen hatte, wurde ich gefragt, ob man heute nicht Biologie mit diesen Fächern gleichsetzen könnte. Ich möchte diese Frage mit Ja beantworten, möchte meine Antwort aber mit leichten Einschränkungen verbinden.

Bis vor etwa 50 Jahren war die Biologie ein rein kompilierendes und wenig wissenschaftliches Fach. Man konnte nur beobachten und klassifizieren, aber nicht erklären. Erst durch die 1953 erfolgte Entdeckung der DNA-Struktur durch James Watson und Francis Crick (und anderen) erhielt das Fach eine wissenschaftliche Grundlage. Kennzeichnend ist, dass diese Durchbrüche nicht von Biologen, sondern von Physikern, Chemikern und Medizinern erzielt wurden. Vor allem begannen wir nach und nach zu ahnen, wie faszinierend das Phänomen Leben ist.

[Im Anhang 2 beschreibt mein Freund und Kollege Peter Hiemann, ein Diplom-Mathematiker, wie er zur Beschäftigung mit Fragen der Biologie gelangte. Er hat sich immer wieder in diesem Blog mit Beiträgen zu biologischen Themen geäußert]

Immer noch gibt es viele Biologen, die lieber das Tanzen der Bienen oder die Bauleistungen von Termiten (und andern Insekten) rein phänomenologisch beschreiben, als den entsprechenden Erscheinungen auf den Grund zu gehen. Das Berufsbild des Biologen ist immer noch stark von Biologielehrern bestimmt, die die Mendelschen Gesetze erklären, von Tierpflegern im Zoo oder von Naturliebhabern, die Schmetterlingen mit der Botanisiertrommel hinterherhüpfen. 

Dass die moderne Biologie ganz andere Fragen stellt und Antworten liefern kann, kam in mehreren Beiträgen dieses Blogs zum Ausdruck. Sie kann helfen Probleme in der Medizin, in der Ernährung, in der Energieversorgung und im Umweltschutz zu lösen. Auch gibt es immer mehr Stellen für Biologen außerhalb der Schule. Die Pharmaindustrie, die Agrarwirtschaft, die Lebensmittel-Industrie und der staatliche Naturschutz sind Beispiele. Da viele Biologen von Hause aus den alternativen (oder grünen) Politikern etwas nahestehen, sehen sie sehr oft auf Kollegen herab, die sich in den Dienst der Industrie stellen. Was bei Kommunisten der Klassenfeind, ist bei Grünen die umweltfeindliche Großindustrie.

Von einem Gymnasiasten aus der Familie befragt, habe ich mich etwas schlau zu machen versucht bezüglich der Möglichkeiten eines Biologiestudiums. Die beste Quelle scheint mir die Bertelsmann-Stiftung, und dort das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), zu sein. Sie veröffentlicht laufend Statistiken und Bewertungen von Hochschulen, quer durch alle Fächer. Eine kurze Empfehlung für angehende Biologie-Studenten gibt es dort auch. Einige Sätze daraus will ich wörtlich zitieren. Sie gehen genau in die Richtung, die ich jedem Interessenten nahelegen würde:

  • An der Molekularbiologie kommt keiner mehr vorbei, selbst wenn er zoologische oder botanische Schwerpunkte wählt. »Man muss in allen Disziplinen genetisch denken können«,
  • Ein Großteil der Fachliteratur ist auf Englisch, und immer öfter wird auch auf Englisch unterrichtet.
  • Die meisten Universitäten suchen sich ihre Studenten hauptsächlich nach der Abiturnote aus; teilweise lag der Numerus clausus im Wintersemester 2011/12 im Einser-Bereich.
  • Der Doktortitel ist bei Biologen der Normalfall. Etwa drei Viertel der Masterabsolventen machen einen Doktor.
Für drei Unis (Freiburg, Heidelberg, Konstanz) habe ich die Bewertung im Detail ausgedruckt. Sie ist als Anhang 1 wiedergegeben. Man kann sich registrieren und andere Unis ansehen. Es gibt auch vom Spiegel ein Ranking der Unis. Es sagt wesentlich weniger aus. Auch der Wikipedia-Eintrag zum Biologie-Studium hat mich nicht besonders beeindruckt.

Bekannte Studienorte sind - soweit ich das beurteilen kann: Freiburg, Konstanz, Tübingen, Stuttgart-Hohenheim, München, Düsseldorf und Mainz. Studienorte, an denen Molekular-Biologie besonders hervorgehoben wird, sind: Münster, Erlangen, Bielefeld, Saarbrücken und Jena. Außerdem gibt es eine Übersicht aller Studienorte der Gesellschaft für Molekular-Biologie.

Ich fand bisher keine Liste, aus der die Anzahl der Biologie-Professoren nach Studienorten hervorgeht. Für mich wäre das ein starkes Kriterium, da daraus die personalmäßige und finanzielle Ausstattung des Fachs hervorgeht. Wenn man die Zahl der Studenten durch die Zahl der Profs dividiert, bekommt man (zwar nur oberflächlich) ein Maß für die mögliche Qualität des Studiums. Aber auch die absoluten Zahlen sind wichtig. Lieber 1000 Studenten und 50 Professoren als 100 Studenten und 5 Profs. Je mehr Profs, umso besser sind alle Teilgebiete abgedeckt.

Ich vermute, es gibt in der Biologie auch ein Süd-Nord-Gefälle, d.h. Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen sind besser dran als Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Jeder Interessierte kann anhand der Links weitere Details klären. 

Was ich etwas skeptisch betrachte, ist die Bio-Informatik. Bindestrichfächer haben generell das Problem, dass sie weder Fisch noch Fleisch sind. Sie stellen zwar eine wichtige Brückenfunktion dar, werden aber von beiden Seiten nicht ganz ernst genommen. Bio-Informatiker haben zwar weniger das Problem, das medizinische Informatiker plagt, dass sie nämlich primär als Hilfskräfte angesehen werden. Dennoch machen sie aus Sicht von Vollblut-Biologen keine biologische Arbeit, sondern nur Datenmanipulation. Wer als Biologe gerne Hilfe in Informatik-Fragen haben möchte, fragt am liebsten einen echten Informatiker, und umgekehrt.



Anhang 1

Hochschulvergleich: Biologie

Bachelor (Uni, kein Lehramt)

Hochschule

FAKTEN

Forschungsgelder pro Wissenschaftler
257,8
235,2
121,0
Promotionen pro Professor
3,3
9,6
1,6
Veröffentlichungen pro Wissenschaftler
3,4
5,5
3,3
Zitationen pro Publikation
7,9
8,0
4,8
Internationale Ausrichtung
2 / 11
3 / 11
0 / 11

STUDIERENDEN-URTEILE GRUNDSTÄNDIGE PRÄSENZSTUDIENGÄNGE

Studiensituation insgesamt
2,2
2,4
2,1
Berufsbezug
3,5
2,5
3,1
Betreuung durch Lehrende
2,3
2,6
2,1
Bibliotheksausstattung
2,0
1,8
1,9
Ausstattung Praktikumslabore
1,9
1,7
1,6
Lehrangebot
2,8
2,3
2,6
IT-Infrastruktur
2,0
2,0
2,2
Räume
1,9
1,7
2,1
Studierbarkeit
2,7
3,0
2,6
E-Learning
2,4
2,1
2,3
Einbeziehung in Lehrevaluation
3,2
3,0
2,3
Exkursionen
2,0
3,5
1,9
Unterstützung für Auslandsstudium
2,9
2,3
3,1
Wissenschaftsbezug
2,6
2,1
2,2

REPUTATION

Forschungsreputation
35,9
47,7
13,6


PS: Für eine Erklärung dieser Zahlen sei auf die oben als CHE-Empfehlung angegebene Quelle verwiesen.



Anhang 2

Kommentar von Peter Hiemann aus Grasse zum Thema Biologie-Studium

Es ist vermutlich heute schwerer als in der Epoche unserer Jugend, sich für ein Studium zu entscheiden. Bei der Entscheidung für ein naturwissenschaftliches Studium spielen meines Erachtens drei Kriterien eine entscheidende Rolle:

  • Welches Fachgebiet besitzt das Potential, die Grundlage für ein humanistisches Weltbild in einer technisierten Welt zu vermitteln?
  • Welches Fachgebiet eröffnet den Zugang zu vielfältigen interessantesten Projekten in Forschung und Industrie
  • Welches Fachgebiet erhält positive öffentliche (politische) und ökonomische Aufmerksamkeit (Budgets).

Entsprechend meiner heutigen Interessen, würde ich mich auch für ein Studium entscheiden, das auf den Prinzipien der Molekularbiologie und den Prozessen und Strukturen einer lebenden Zelle aufbaut.

Einen entscheidenden Anstoß für mein heutiges Interesse für lebende Strukturen waren die Vorlesungen Erwin Schrödingers zum Thema „Was ist Leben? - Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet“. Das Vorwort von Ernst Peter Fischer zu Schrödingers Vorlesungen gibt einen schönen Einblick, warum die „moderne Biologie nicht das Werk von Biologen ist“. Schrödinger hielt seine Vorlesungen 1943. Zur selben Zeit untersuchten der Mediziner Salvatore Luria und der Physiker Max Delbrück mikroskopische Partikel, die Bakterien angreifen und zerstören konnten. Luria und Delbrück gelang der Nachweis, dass einige Bakterien aufgrund einer spontanen Mutation ihres genetischen Materials resistent gegen Zerstörung durch die verwendeten Phagen geworden waren. Lurias und Delbrücks Arbeiten gelten als Beginn der Molekularbiologie. Das Fach explodierte, als 1946 entdeckt wurde, dass Bakterien und Phagen auch sexuell aktiv sind, also genetisches Material untereinander austauschen und neu kombinieren. 1953 erkannten James Watson (ein Schüler von Luria) und Francis Crick (ein Physiker), dass Gene als Doppelhelix strukturiert sind.

Unter der Annahme, dass ein Atom die Größe einer Erbse hat, hat eine Zelle die Größe einer Kugel mit 800 Metern Durchmesser (oder Radius?). Wie dem auch sei, man muss sich die Zelle sehr groß vorstellen. In der Zelle bewegt sich eine ungeheure Zahl verschiedener Moleküle mit sehr großer Geschwindigkeit. Manche Moleküle sind klein, manche haben die Größe eines PKW (im Erbsenmaßstab). In dem Gedränge der Moleküle kommt es zu keinen Zusammenstößen. Das einzig stabile Element in einer Zelle ist das genetische Programm. Ich habe im Internet einen kleines Video mit dem Titel „The Inner Life of a Cell“ gefunden.

Heute existieren hervorragende technische Hilfsmittel, das genetische Programm eines Organismus zu sequenzieren. Dieses Programm sagt aber wenig über die Prozesse der Proteinsynthese aus. Die Aktivierung und Deaktivierung von Genen ist eine nur teilweise verstandene dynamische komplexe Angelegenheit. Das Wissen um den Begriff Genetik musste um den Begriff Epigenetik erweitert werden.

Die Ansicht, dass „moderne Biologie nicht das Werk von Biologen ist“ gilt für die Epoche 1943, als es tatsächlich den Beruf gab, Biologie (Botanik, Zoologie) zu betreiben. Wer sich heute mit biologischen Fragestellungen professionell auseinandersetzen möchte, steht nicht vor der Entscheidung, den Beruf eines Biologen zu erlernen, sondern vor der Entscheidung, aus einer unglaublichen Vielzahl spezifischer Domänen eine Wahl zu treffen.

Freitag, 21. September 2012

Innovationspreis 2012 der GI an Musiklernspiel vergeben

Der neudefinierte Preis für Innovation und Entrepreneurship der GI wurde am 18. September 2012 auf der Jahrestagung in Braunschweig an das Projekt Songs2See vergeben. Es ist dies ein Musiklernspiel, das vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDTM)  in Ilmenau entwickelt wurde. Dieses Institut wurde von Karlheinz Brandenburg gegründet, dem weltweit bekannten Erfinder der als defacto-Standard der Musikbranche millionenfach eingesetzten Kompressionsmethode MP3.

Die GI schreibt in ihrer Pressemitteilung:

Im digitalen Zeitalter lernen Kinder und Jugendliche die Welt der Musik oft nicht mehr über ein Instrument kennen, sondern über Computer- und Videospiele. Das am Fraunhofer IDMT entwickelte Musiklernspiel Songs2See schlägt die Brücke zwischen Spielspaß und Übungsprogramm.

Mit Songs2See kann jedes digital verfügbare Musikstück in Noten und Grifftechniken aufbereitet werden. Diese spielt der Lernende einfach mit dem eigenen Instrument nach. Die Lernsoftware gibt eine direkte Rückmeldung, ob der Musizierende die angezeigten Töne richtig trifft. Somit bietet Songs2See den Ansporn von Videospielen und schult gleichzeitig Notenlesen, Rhythmusgefühl sowie die Fingerfertigkeit am Instrument.

"Gerade in der heutigen Zeit macht das Spielen am Computer dem Musizieren kräftig Konkurrenz und Songs2See kann beides verbinden. Ich selbst habe seinerzeit Klavier gelernt und hätte mit solch einer Software sicher fleißiger geübt.", so Peter Liggesmeyer, GI-Vizepräsident und Vorsitzender der Auswahl-Jury.

Das IDTM schreibt in ihrer Presseverlautbarung:

Songs2See eröffnet Anfängern und Fortgeschrittenen auf spielerische Weise die Welt der Instrumente, schult Fingerfertigkeiten und Rhythmusgefühl – ganz ohne musikalisches Vorwissen...  

Songs2See erlaubt es, im Handumdrehen ein Instrument zu erlernen – abgestimmt auf das individuelle Lernniveau und den persönlichen Musikgeschmack. Mit Hilfe der Software wird jedes beliebige Lied in Noten und Grifftechniken aufbereitet und steht als Übungsmaterial zur Verfügung. Der Lernende spielt die angezeigte Melodie mit seinem Instrument einfach nach und erhält für alle richtig getroffene Töne Punkte. Das erhöht den Ansporn und die Motivation beim Lernen. Gleichzeitig werden das Notenlesen und das Rhythmusgefühl geschult sowie die motorischen Fertigkeiten trainiert.

Der frühere GI-Präsident Matthias Jarke, unter dessen Leitung der ursprüngliche Innovationspreis geschaffen wurde, bemerkt dazu:

… der Innovationspreis wurde diesmal an ein aus meiner Sicht besonders zukunftsträchtiges Jungunternehmen verliehen. Da stimmten alle Kriterien: Patente, erste Markterfolge, hochspannende und wirklich innovative Technologie. Und es gab dieses Jahr 40 Einreichungen!

Ich habe mir die Demo-Version des Programms angesehen und einige Töne hineingehauen. Da ist das Musiklernen tatsächlich ein Kinderspiel geworden. Solche Aussagen haben ihre Tücken und widerstreben mir eigentlich. Aber überzeugen Sie sich selbst!