Donnerstag, 27. März 2014

Was erklärt die theoretische Biologie?

Die Biologie ist die Wissenschaft des Lebendigen. Sie hatte lange Zeit den Ruf, eine unstrukturierte Sammlung empirischen Wissens über Blumen, Käfer, Vögel und dergleichen zu sein, also über die Mannigfaltigkeit des Lebendigen. Es gab so gut wie keine Theorie. Unter einer Theorie versteht man Aussagen, die dazu dienen, Ausschnitte der Realität zu erklären. Erklären bedeutet, die Frage zu beantworten, warum etwas passiert oder existiert. Das versetzt einen (im Allgemeinen) in die Lage, auch Prognosen über die Zukunft zu erstellen.

Das Buch von Heinz Penzlin mit dem Titel Das Phänomen Leben (2014, 340 S.) erhebt den Anspruch die theoretische Seite der Biologie zu behandeln. In den letzten Wochen haben drei Beitragende dieses Blogs das Buch gelesen: Peter Hiemann (PH) in Grasse, Hans Diel (HD) und ich (Bertal Dresen, BD) in Sindelfingen. Entsprechend unseren unterschiedlichen Interessen, heben wir einzelne Themen hervor und kommentieren auch das Buch unterschiedlich. In Form und Inhalt knüpfen wir an die Diskussion über John Mayfields Buch “Evolution as Computation“ Anfang des Jahres an.

Leben als Prozess (BD)

Das Leben ist  ̶  entgegen früherer Ansicht  ̶  kein Stoff. Es ist vielmehr ein programmgesteuerter Prozess, der in einem thermodynamischen System abläuft. Das System kann als Einzelzelle, Einzeller genannt, oder System von Zellen, Vielzeller genannt, organisiert sein. Man muss Leben als die Leistung von Systemen ansehen, nicht von deren Komponenten. Diese werden als Organismen bezeichnet und sind selbständige (teilweise aus präbiotischer Zeit stammende) Organisationsbestandteile. Mit ‚lebend‘ oder ‚lebendig‘ bezeichnet man den aktiven Zustand dieses Prozesses. Das Gegenteil heißt ‚tot‘.

Der Ort, an dem Lebewesen anzutreffen sind, ist die Biosphäre. Sie erstreckt sich als Hülle um die Erde, in einer Tiefe von etwa -11 km bis zu einer Höhe von +9,5 km. Außer dass die notwendigen Ressourcen (Wasser, Luft, Nährstoffe) zur Verfügung stehen, sind hier Druck und Temperatur in einem akzeptablen Bereich. Es gibt zwei Arten von Zellen, solche ohne Zellkern (Prokaryoten) und solche mit Zellkern (Eukaryoten). Die meisten Biologen sind heute der Meinung, dass Leben nur einmal und nur auf der Erde entstanden ist. Einzeller gibt es seit 3,85 Milliarden Jahren (84 % der 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte), Vielzeller erst seit 1,2 Milliarden Jahren (26 % der Erdgeschichte).

Alle heute lebenden Organismen [sind] in ununterbrochener Generationsfolge mit dem Ursprung des Lebens auf unserer Erde … verbunden. (S.71)

HD: Das ist für mich verblüffend! Damit müsste doch die Wahrscheinlichkeit Leben auf erdähnlichen Planeten zu finden, deutlich vorsichtiger eingeschätzt werden als dies häufig üblich ist.

Stoffwechsel und Energie (BD)

Lebewesen definieren sich durch Stoffwechsel (Metabolismus), Vermehrung (Reproduktion) und Entwicklung (Evolution). Zellen und die aus ihnen entstandenen Lebewesen sind offene Systeme im Zustand des Ungleichgewichts. Sie benötigen Energie, um den Zustand ‚lebend‘ aufrecht zu erhalten, auch wenn keine Arbeit geleistet wird. Dies wird erreicht durch den Stoffwechsel. Er findet auf der Ebene einzelner Organismen statt. Eine Seite nimmt Nahrung, Wasser und Sonnenlicht auf. Eine zweite Seite baut daraus die Formen von Energie auf, die der Organismus benötigt. Energie geht nie verloren. Sie wird nur in andere Formen umgewandelt. Organismen existieren nur bei ständiger Selbsterneuerung. Es findet ein pausenloser Verfall statt sowie ein laufender Wiederaufbau aller Komponenten.

Als eine Art Energiewährung gilt Adenosintriphosphat (ATP). Ein ruhender Mensch benötigt mehrere Tausend ATP-Transfers pro Tag innerhalb von Zellen (z.B. zwischen Mitochondrium und Cytoplasma). Die Stoffmenge, die vom Körper verarbeitet wird, schwankt zwischen 1,7 kg pro Stunde bei Ruhe und 30 kg bei Arbeit. Die primäre Energiequelle aller Lebewesen ist das Sonnenlicht. Der Prozess, der seiner Umwandlung dient, heißt Photosynthese. Die dafür verantwortlichen Organismen heißen Chloroplasten.

Reproduktion und Artenvielfalt (BD)

Die Arten oder die Spezies sind die Reproduktionsgemeinschaften der Lebewesen. Nur ihre Mitglieder fühlen sich voneinander angezogen und können sich sexuell fortpflanzen. Durch Mutationen (Speziation) entstehen neue Arten. Die meisten Mutationen sind schädlich und verschwinden. Die Arten überleben aufgrund von Variationen. Innerhalb einer Art ist die Variationsbreite sehr hoch. Nicht ein Individuum evolviert, sondern eine Population.

Bereits bei den Einzellern ist die Artenvielfalt sehr groß. Man schätzt, dass es über 100 Millionen Arten gibt. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Es leben heute noch Arten, die es bereits in der Kreidezeit gab. Besonders artenreich sind Käfer (350k) und Fliegen (120k). Bei vielen Säugetierarten gibt es eine sukzessive Größenzunahme der Individuen, nicht jedoch bei allen Arten. Man teilt die Arten in drei Reiche ein: Urbakterien (auch Archaea genannt), Bakterien und Eukaryoten. Die Bakterien sind sehr früh entstanden.

Evolution und deren Zweckorientierung (HD)

Penzlin gibt eine sehr saubere und ausführliche Einführung in das Thema Evolution. Für mich als Laien ist es schon mehr als eine Einführung. Gewundert habe ich mich über folgende Aussage:

Eine einheitliche Theorie der Evolution, die alle diese Teiltheorien zusammenführt und – was noch wichtiger wäre – auch die Prokaryoten mit ihren Besonderheiten (….) einschließt, ist ein Ziel wissenschaftlicher Forschung, aber leider noch keine Realität. (S. 102)

Im Gegensatz zu John Mayfield, der in seinem Buch eher nach einer Verallgemeinerung des Konzepts Evolution gesucht hat, möchte Penzlin den Begriff Evolution möglichst eng benutzt sehen:

Gegenwärtig erleben wir eine Inflation des biologischen Begriffs Evolution. Man spricht - wie selbstverständlich - von der Evolution des Kosmos, der Sterne, unseres Sonnensystems und unserer Erde oder auch der menschlichen Gesellschaften, der Sprache, der Kunstformen und der Kultur ohne Rücksicht auf die unbestreitbare Tatsache, dass diese Vorgänge in ihrem Wesen und ihrer inneren Dynamik völlig verschieden sind. (S.104). Man sollte den Evolutionsbegriff deshalb nur in diesem Kontext verwenden und nicht auf alle möglichen Entwicklungsprozesse ganz anderer Natur anwenden, wie es heute üblich geworden ist. (S. 410)

Die Zweckorientierung der Evolution ist eines der zentralen Themen des Buches. Wir (BD, PH, HD) hatten das Thema ausführlich im Zusammenhang mit dem Buch von Mayfield diskutiert. Penzlin macht eine klare Unterscheidung und begründet seine Sicht (die anscheinend auch die Sicht der meisten Biologen ist) ausführlich: (1) es gibt keine Zielgerichtetheit in der (biologischen) Evolution, und (2) die Evolution ist klar zweckgerichtet. Bekannte Beispiele sind: Das Auge ist zweckmäßig, um sich zu orientieren. Die Flügel der Vögel sind zweckmäßig zum Fliegen.

Das Zweckmäßige entsteht im Organischen ohne vorangegangene Zwecksetzung….Alles Zweckmäßige in der Natur ist eine Zweckmäßigkeit a posteriori.

Diese Feststellung „a posteriori-Zweckmäßigkeit“ macht natürlich bei der Zielgerichtetheit keinen Sinn. Die Biologen sind sich anscheinend einig in der Ablehnung der Zielgerichtetheit der Biologie. Allerdings sollte die Aussage der Biologen nicht lauten „es gibt keine Zielgerichtetheit der Evolution“, sondern eher „aus Sicht der Biologie ist keine Zielgerichtetheit zu erkennen“. Mit der Aussage, es gäbe keine Zielgerichtetheit (der Evolution), verlassen die Biologen ihr Arbeitsgebiet und werden zu Philosophen.

BD: Im Hinblick auf unsere frühere Diskussion fand ich auch folgende Formulierungen beachtenswert:

Der Zweck [des Projekts Leben] ist die Selbsterhaltung des Lebendigen. Diese Zweckmäßigkeit ist nicht akzidentiell. Sie ist zutiefst immanent. … Die Natur zielt nicht; sie spielt.

Entropie (HD)

Sowohl unter Physikern wie auch Biologen wird schon seit Jahrhunderten die Frage diskutiert, wieso die Entstehung und das Bestehen von Leben nicht den 2. Hauptsatz der Thermodynamik verletzt. Der besagt bekanntlich, dass die Entropie nur wachsen kann, d.h. die Unordnung in der Natur kann nur zunehmen. Ich habe den Verdacht, dass hierbei (wie auch bei bestimmten Entropie-Diskussionen in der Physik) die Definition dessen, was man unter „geordnet“ und „Ordnung“ versteht, so zurechtgebogen wird, dass man die Allgemeingültigkeit des Entropiegesetzes retten kann. Das Resultat ist, wie Ilya Prigogine schrieb, „a very strange concept“. 

Information (HD)

Auf diese Ausführungen war ich besonders gespannt, da wir das Thema in den letzten Jahren oft und heftig diskutiert haben. Das Thema wird auch in einigen Blogeinträgen adressiert. Der wichtigste Diskussionspunkt war dabei die Frage, was die richtige (oder zumindest plausible oder zweckmäßige) Definition des Begriffs „Information“ sein sollte. Penzlin schreibt:

Der Shannon’sche Informationsbegriff als mathematisches Maß des Informationstransfers hat sich dagegen in der Biologie als wenig brauchbar erwiesen. (S.271) Es ist leider richtig, dass der Informationsbegriff in der Literatur mit sehr unterschiedlichem Inhalt und Bezug gebraucht wird,. … Dessen ungeachtet ist der Informationsbegriff bei manchen Autoren geradezu zum Dreh- und Angelpunkt ganzer Weltanschauungen avanciert. (S. 272)

Meine Meinung zu diesem Thema möchte ich wie folgt ausdrücken:
  • Dass der Shannon’sche Informationsbegriff für die meisten (oder gar alle) Wissenschaften zu eng ist, ist kaum zu bestreiten. Selbst für die Physik gab es schon diese Erkenntnis.
  • Eine neue Definition, die alle möglichen Disziplinen zufrieden stellt, ist anscheinend sehr schwer zu finden. Selbst für die Biologie alleine scheint es noch nicht gelungen zu sein, sich auf eine allerseits zufriedenstellende Definition zu einigen.
  • Noch schwieriger wird es, wenn man versucht ein mathematisches Maß für den Informationstransfer zu finden. Dies war ja die ursprüngliche Zielsetzung von Shannon.
Penzlin beschreibt die Shannon’sche Theorie im Einzelnen. Daran anschließend hat Penzlin ein Kapitel „Information und Entropie“. Die Verquickung von Information und Entropie macht ja nur Sinn, wenn man von dem Shannon’sche Informationsbegriff ausgeht (vielleicht auch nicht einmal dann).

BD: Es ist schon erstaunlich, dass die Biologie sich immer wieder in die Irre führen lässt, waren doch Manfred Eigen und Carl Friedrich von Weizsäcker sehr klar in ihren Aussagen. Auch hier wird Weizsäcker zitiert mit dem Satz: ‚Information ist nur das, was verstanden wird‘. Es verwundert mich sehr, dass Biologen (wie Physiker) an eine Art Erhaltungssatz für Information glauben, in Analogie zur Energie. Nur so ist zu verstehen, dass Penzlin Lebewesen als informationell abgeschlossene System ansehen kann.

Gene und Spezifität (HD)

Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms entstand die Hoffnung, dass die Biologie jetzt alle Fragen des Lebens klären kann. Die Gene schienen der Schlüssel zu allem zu sein. Auch Penzlin warnt davor, zu viel zu erwarten.

Man kann nur hoffen, dass das Denken in Ein-zu-eins Entsprechungen zwischen Genen und Eigenschaften nun endlich und unwiderruflich sein Ende gefunden hat. (S. 334). Das genozentristische Bild von den Genen als elementare und unabhängige Struktureinheiten, die in linearer Anordnung auf dem Chromosom aufgereiht sind, und für bestimmte „Merkmale“ stehen, gehört unwiederbringlich der Vergangenheit an. (S. 335)

Ob in ferner Vergangenheit, also zur Zeit des Lebensursprungs, einmal eine RNA-Welt existiert hat, bleibt weiterhin fraglich. 

Selbstorganisation und Synergetik (HD)

Der Begriff der Selbstorganisation wurde ursprünglich in der Physik (Thermodynamik) geprägt.

Dessen ungeachtet hat der Begriff sehr schnell Akzeptanz in den verschiedenen Disziplinen außerhalb der Physik bis hin zur Neurobiologie, Psychologie, und Soziologie gefunden, ohne dass in jedem Fall sorgfältig geprüft wurde und wird, ob man mit dem Begriff tatsächlich vergleichbare, d.h. in ihrer inneren Dynamik übereinstimmende Vorgänge, oder nur oberflächlich analog-ähnliche belegt. (S. 397)

Eng verwandt, wenn nicht deckungsgleich ist der Begriff Synergetik. Hierzu sagt Penzlin:

Es trifft leider nicht zu, dass das Konzept der Synergetik, wie es der Physiker Hermann Haken mit großer Hingabe entwickelt hat, bereits die „neuen Gesetze“ für ein besseres Verständnis und ihrer Beziehungen mit ihrer Umgebung geliefert hat. (S.398) 

Physikalismus und Reduktionismus (HD)

Unter Physikalismus versteht man die Theorie oder Meinung, dass die gesamte Natur auf physikalischen Vorgängen beruht und deshalb auch alleine mit Physik erklärt werden kann.

Dem radiklen Physikalismus liegt die These zugrunde Leben sei restlos im Rahmen der Begriffe und Gesetze zu verstehen, wie wir sie aus den anorganischen Naturwissenschaften kennen. Die Dinge unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer Komplexität, aber nicht prinzipiell. (S. 5)

Unter Reduktionismus versteht man das Bestreben die wissenschaftliche Erkenntnis durch immer weiter gehende Reduzierung auf tiefer liegende Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. Für die Nicht-Physikwissenschaften kann der Reduktionismus nur zur Physik führen. Aber auch innerhalb der Physik gibt es den reduktionistischen Ansatz. Die reduktionistische Denkweise und Vorgehensweise wurde in den letzten Jahrzehnten stark kritisiert (Reduktionismus ist fast zu einem Schimpfwort geworden).

Auch Penzlin kritisiert den Reduktionismus in der Biologie und den Versuch Biologie zu verstehen, indem man die Abbildung auf die Physik besser versteht.

Der radikale Reduktionismus ist zum Scheitern verurteilt und muss durch einen moderaten ersetzt werden. Das bedeutet, die Reduktion dort, wo sie angebracht und nützlich ist,  soweit wie möglich voranzutreiben, dabei aber niemals aus dem Auge zu verlieren, dass es Zusammenhänge und Erscheinungen im Bereich des Lebendigen gibt  - und das sind nicht gerade die unwichtigsten -, die nur auf höherer Ebene verstanden und erklärt werden können. (S.40)

Zu diesem Thema passt auch das, was Penzlin zum Schichtenaufbau der realen Welt schreibt. Er zeigt ein auf Nikolai Hartmann zurückgehendes Model von vier Schichten, aus denen die reale Welt besteht. Die vier Schichten sind: (1) die Schicht des Anorganischen, (2) die Schicht des Organischen, (3) die des Seelischen und (4) die des Geistigen. Trotzdem fehlt es nicht an Widerständen, sie in all ihren Konsequenzen anzuerkennen. Der Grund dafür liegt in dem tief verwurzelten und weit verbreiteten Einheitspostulat des spekulativen Denkens.

[Es gibt das] Streben, die Welt aus wenigen oder gar aus einem einzigen Prinzip heraus erklären zu wollen. An solchen verlockenden Versuchen hat es in der Vergangenheit bis zum heutigen Tag niemals gemangelt, sei es in spiritualistischer Weise „von oben nach unten“ oder in materialistischer Weise in umgekehrter Richtung „von unten nach oben".

Erwin Schrödinger charakterisierte die Physik einmal als „die bescheidenste aller Naturwissenschaften“. Penzlin zitiert C.F. von Weizsäcker:

Die Physiker haben sich die einfachsten Probleme ausgesucht, die es überhaupt gibt, dagegen die Biologen vielleicht die interessantesten; aber die interessantesten Probleme sind nicht notwendigerweise die einfachsten. (S. 407) 

Mir ist diese Diskussion zu prinzipiell (schon fast ideologisch). Es wird vermutlich von niemand bestritten, dass gewisse Themen (die letztlich auf physikalischen Gesetzen beruhen) wie zum Beispiel Chemie, Meteorologie und auch Biologie, erst durch die Schöpfung neuer eigener Begriffe und Gesetzmäßigkeiten einem verbesserten Verständnis zugeführt werden konnten. Beispiele dafür sind nicht nur die Entstehung der Nicht-Physikwissenschaften, sondern auch innerhalb der Physik lassen sich derartige Beispiele finden (z.B. Wärmelehre, Supraleitfähigkeit). Ist es nicht radikaler Reduktionismus, wenn Empathie durch Spiegelneuronen erklärt wird?

Wissenschaft und Weltanschauung (PH)

Bei diesem Thema bin ich geneigt, das ganze Kapitel des Buches zu zitieren:

Es bleiben Fragen, die von keiner Wissenschaft beantwortet werden, weil sie gar nicht erst gestellt werden. Dazu gehören solche nach dem Wert, dem Sinn, der Bedeutsamkeit oder der Berechtigung. Um jeweils die richtigen Entscheidungen treffen zu können, sind nicht nur Kenntnisse unerlässlich, sondern auch feste ethisch-moralische Grundsätze und Normen die Bestandteil einer Weltanschauung sind. Sie werden uns nicht in die Wiege gelegt, denn sie sind kein Produkt der Evolution. (S. 416)

BD: Hier leitet Penzlin über zu der Frage, woher kommen das geistige und ethische Rüstzeug des Menschen und wie wird es übertragen.

Kulturelle Evolution (PH)

Penzlins Bemerkungen zu den Unterschieden zwischen der biologischen Evolution und der kulturellen Entwicklung (oder Evolution), haben sofort meine Aufmerksamkeit gefunden. Er vertritt die Meinung:

Niemand sollte allgemeine Behauptungen hinsichtlich der Evolution in Bereichen außerhalb der biologischen Welt machen, ohne sich zuvor mit den gut ausgereiften Vorstellungen der biologischen Welt bekannt gemacht zu haben. ... Das Motiv für Begriffsverflachungen muss man in dem verbreiteten Streben nach Kontinuität oder in dem “Einheitsbedürfnis” sehen, dass auch heute noch eine nicht zu unterschätzende Triebfeder menschlichen, auch wissenschaftlichen Denkens ist. (S. 104)

Das „Einheitsbedürfnis“ ist auch für mich eine wichtige Triebfeder. Ich maße mir keinesfalls an, die Prinzipien und Phänomene der Evolution, wie sie von Penzlin vertreten werden, zu kritisieren.

HD: Als Fachmann steht es Heinz Penzlin zu, über die korrekte Benutzung des Begriffs Evolution zu wachen. Trotzdem finde ich, dass dies nicht dazu führen sollte, das Studium von Gemeinsamkeiten mit anderen Entwicklungsprozessen zu unterlassen. Ob man dabei entdeckte Verallgemeinerungen auch "Evolution" nennen sollte, ist für mich zweitrangig. 

Nachtrag am 28.3.2014:

Wenn der Eindruck entstand, dass Peter Hiemann am wenigsten zu dem Buch von Penzlin zu sagen hätte, dann ist dies falsch. Seine Rezension ist in beigefügtem Artikel wiedergegeben. Vergessen hatte ich, Penzlins Schlusszitat zu bringen. Es stammt von Immanuel Kant. Fast könnte man meinen, auch Kant sei gegen Abstraktionitis gewesen.

Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und man kann nicht wissen, wie weit diese mit der Zeit führen werden. (Kritik der reinen Vernunft. Revidierte Gesamtausgabe, Band 2, S. 266)

Am 31.3.2014 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

Es gibt noch eine viel ältere Schichtentheorie, nämlich die von Aristoteles (siehe unten), die unter dem Begriff Ontologie (Seinslehre) firmiert. Das ist eine Sphärentheorie. Das Schöne ist ihr konstruktiver Aufbau von unten nach oben und eine Einteilung der Wissenschaften. Grundlegend ist die Somatologie, die Lehre vom unbelebten Körper oder die Sphäre der Somata. Dann kommt im Aufbau die Biosphäre, um die es hier geht. Darüber liegen  die Psycho-Sphäre und dann weiter die Noo-Sphäre, die dem Menschen vorbehalten ist.  Berühmt ist die Mensch-Definition des  Aristoteles: „Der Mensch ist das Lebewesen, das Logos hat.“ Die Griechen konnten sich noch auf allen Schichten bewegen, was uns leider abhanden gekommen ist.


Nachtrag am 3.4.2014:

Nach Kopernikus und Darwin könnte man das Weltbild heute etwas anders darstellen als zur Zeit der alten Griechen, z.B. so:


1 Kommentar:

  1. Am 31.3.2014 schrieb Heinz Penzlin aus Jena:

    recht herzlichen Dank für die Zusendung Ihres Blogs, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Es freut mich, dass meine Ausführungen zum Thema „Leben“ Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit gefunden haben.

    Man muss leider nüchtern feststellen, dass gegenwärtig in der Zeit des extrem raschen Fortschritts und Umbruchs unserer Kenntnisse auf biologischem Gebiet das theoretische Interesse bei Nicht-Biologen stärker entwickelt ist als bei den Biologen selbst. Das war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch grundlegend anders. Man denke nur an die großen Namen Oscar Hertwig, Julius Schaxel, Jacob von Uexküll, Ludwig von Bertalanffy, Max Hartmann, Bernhard Rensch, Ernst Mayr u. a.

    Es grüßt Sie als ebenfalls noch rüstiger Rentner und Nicht-Pensionär (Jg.1932) aus dem sonnigen Jena

    Heinz Penzlin

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