Montag, 30. Juni 2014

Gerhard Barth über Doppelpässe zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

Gerhard Barth ist als Unternehmensberater und Geschäftsführer der DCS-consult GmbH, Waldbronn bei Karlsruhe tätig, die auch von ihm mit gegründet wurde. Als Berater und Vortragender ist er u.a. in den USA sehr aktiv unterwegs. Barth studierte Informatik bis zum Diplom an der Universität Karlsruhe (TH)  ̶  heute: Karlsruher Institut für Technologie  ̶  und wechselte dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Fachbereich Informatik der Universität (heute TU) Kaiserslautern. Nach der Promotion 1977 zum Dr. rer. nat. ging er für einige Jahre an die Pennsylvania State University in State College, PA. Er kehrte von dort nach Kaiserslautern zurück, wo er sich habilitierte und 1983 zum Professor für Informatik ernannt wurde. Wenige Jahre später wurde Gerhard Barth Lehrstuhlinhaber an der Universität Stuttgart im Bereich Programmiersprachen und Compilerbau.

Danach begann seine weitere Laufbahn verstärkt in Leitungspositionen. Er wurde nach Kaiserslautern zurück berufen auf einen Lehrstuhl verbunden mit der Leitung des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche  Intelligenz). 1992 wechselte er zur Daimler-Benz AG als Leiter der Konzernforschung Informationstechnologie  ̶  also „oberster Informatikforscher" der Fachtruppen u.a. in Ulm und Berlin. 1996 erfolgte der Wechsel als Vorstandsmitglied zu Alcatel SEL. Ab 1999 war Gerhard Barth Mitglied des Vorstands und CIO der Dresdner Bank AG. Er war damit der erste Diplom-Informatiker im Vorstand einer deutschen Großbank. In den 1990ern war er zudem im Ehrenamt zwei Jahre Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI). Nach 2002 wurde Gerhard Barth selbst Firmengründer im Bereich Unternehmensberatung und auch Leistungen für Interim-Management bereitstellend. So wirkte er eine Zeit lang in dieser Rolle als CIO von Versatel.
 


Klaus Küspert (KK): Wir hatten unseren ersten Kontakt 1980. Da warst Du schon von einem dreijährigen Aufenthalt an der Pennsylvania State University („Penn State") nach Deutschland zurückgekehrt. Wie war das zu jener Zeit in den USA für einen jungen deutschen Frischpromovierten und Nachwuchswissenschaftler? Wo lagen die Hauptunterschiede aus Deiner Sicht, der Du ja von den Universitäten Karlsruhe und Kaiserslautern kamst und diese gut kanntest?

Gerhard Barth (GB): Spontan beeindruckt war ich von der großzügigen Anordnung und Ausstattung des Universitätscampus und dem aktiven Leben aller Universitätsangehörigen dort  ̶  sowohl Studenten als auch Dozenten. Es gab neben den Gebäuden mit Büros und Hörsälen auch Cafeterias, Eisdielen, Tennisplätze, Liegewiesen und Einkaufsläden. Zwischen Studenten und Professoren herrschte ein viel engeres Verhältnis als ich es an deutschen Universitäten kennen gelernt hatte.

Einen weiteren großen Unterschied konnte ich auch bald beim Ablauf von Lehrveranstaltungen ausmachen. Die meisten Studenten an der Penn State waren sehr zielstrebig und ehrgeizig. In die Vorlesungen waren meistens sogenannte „mid-term und final exams“ eingebaut, deren Resultate für den Verlauf des Studiums wichtig waren. Es war auch durchaus üblich, den Studenten zwischen Vorlesungen „reading assignments“ zu geben, also quasi Hausaufgaben zur Vorbereitung auf die nächste Veranstaltung. Diese wurden von der großen Mehrheit der Studenten ernsthaft erledigt. Als ich nach meiner Rückkehr an die Uni Kaiserslautern in einer Vorlesung dieses Prinzip übernehmen wollte, schaute ich in ziemlich fassungslose Gesichter. Das wäre wohl heute an den meisten deutschen Universitäten nach wie vor nicht anders.

Beeindruckend waren auch die jährlichen Abschlussfeiern für diejenigen, welche ihr Studium beendet hatten. Dabei wurden Abschlusszeugnisse stilvoll überreicht sowie herausragende Leistungen gewürdigt und belohnt. In Deutschland macht man mittlerweile ja meist ähnliches, aber oft erst seit wenigen Jahren, das hat also in den USA eine ganz andere, weit reichende Tradition.

KK: Deine Karriere verlief zunächst „hochschulmäßig" und zügig in den 1980ern: Habilitation, C3, C4. Dann kam, für Außenstehende, schon der erste ungewöhnliche Wechsel, nämlich in die Leitungsrolle des DFKI (verbunden mit Lehrstuhl in Kaiserslautern). Von Haus aus warst Du bis dahin in Lehre und Forschung vor allem ein „Programmiersprachler" - wie war somit der Wechsel ins DFKI, also in die Welt der KI?

GB: Die mehrjährigen Abstimmungen und Vorbereitungen zur Gründung eines KI-Forschungsinstituts hatte ich ja immer wieder wahrgenommen, als ich noch an der Uni Kaiserslautern tätig war. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich mich allerdings ernsthaft mit dem Gedanken befasst, eventuell eines Tages in dem Institut mitzuarbeiten. Wie Du in Deiner Frage richtigerweise formuliert hast, war mein Arbeitsgebiet ja nicht im Kern von KI angesiedelt. Der einzige Bezug bestand darin, dass wir uns in meiner Arbeitsgruppe vorrangig mit nicht prozeduralen Programmierparadigmen befasst haben. Dazu zählten auch funktionale und logikbasierte Konzepte aus Sprachen wie Lisp und Prolog, die im KI-Umfeld gerne verwendet wurden und werden.

Ich war deshalb schon ziemlich überrascht, als eines Tages der Vorsitzende des DFKI-Aufsichtsrats anrief und ein Treffen vorschlug, bei dem er mit mir über die Leitung des Instituts sprechen wollte. Ich habe bei dieser Unterredung keinen Hehl daraus gemacht, dass ich definitiv kein ausgewiesener KI-Experte war. Dennoch hatte ich halbwegs klare Vorstellungen, welche Arbeitsgebiete im DFKI verfolgt werden sollten und wie die thematische Abstimmung mit den industriellen Gesellschaftern des Instituts gestaltet werden könnte. Kurz danach bekam ich die Gelegenheit, dem gesamten DFKI-Aufsichtsrat meine Vorstellungen zu präsentieren. Das Gremium machte mir danach das Angebot, die Leitung des Instituts zu übernehmen. Nach kurzer Bedenkzeit habe ich es angenommen und diese Entscheidung nie bereut.

KK: An die DFKI-Leitung schloss sich dann der Wechsel zu Daimler-Benz als deren „Chefinformatikforscher" an, nun also sozusagen raus aus dem universitären Bereich erstmals in die richtige Industrie. Würdest Du auch hier die Hauptunterschiede zur vorhergehenden Rolle kurz kommentieren? Wahrscheinlich war das Arbeiten der Organisation nun deutlich stärker an wirtschaftlichen Zielen und mittelfristigen Machbarkeiten ausgerichtet?

GB: Daimler-Benz war 1992 ein Unternehmen, welches die vier Bereiche Mercedes-Benz, AEG, DASA und Debis umfasste. Die Konzernforschung war als zentrale Einheit angeordnet und bestand aus drei Direktionen, die sich mit Fahrzeug- und Verkehrstechnik, Mikroelektronik sowie Material- und Produktionstechnik befassten. Die Informationstechnik spielte naturgemäß eine wichtige Rolle bei sehr vielen Fragestellungen, war aber nicht in einer Einheit gebündelt. Der damalige Forschungsvorstand des Unternehmens, Prof. Hartmut Weule, hatte beschlossen, die Informationstechnik zu einem vierten Standbein seines Ressorts zu machen. Da Daimler-Benz einer der wichtigsten Gesellschafter des DFKI war und wir eine enge und gut funktionierende Zusammenarbeit etabliert hatten, lud mich Hartmut Weule zu einem Gespräch ein und bot mir danach die Leitung der neuen Forschungseinheit an.

Auch hierbei habe ich ohne lange Bedenkzeit angenommen. Es war mir schon klar, dass die Forschung in einem Industriekonzern anderen Regeln zu folgen hatte als an einer Universität. Allerdings wurde aber auch schon die Arbeit am DFKI immer in enger Abstimmung mit den industriellen Gesellschaftern organisiert und durchgeführt. Somit war der Schritt zu Daimler-Benz nicht mehr ein Sprung ins eiskalte Wasser. Zudem stellten die Arbeitsthemen in der neuen Umgebung immer noch echte Forschungsherausforderungen dar und waren beileibe weit mehr als die schlichte Umsetzung vorhandener Erkenntnisse. Natürlich waren viel detailliertere Planungen hinsichtlich Budget, Zeitverlauf und Projektdurchführung erforderlich als am DFKI.

KK: Um mal auf Deine Rolle im GI-Amt kurz einzugehen, das war nach meiner Erinnerung im Wesentlichen parallel zu den Jahren bei Alcatel SEL. Du warst da auch mit Vorträgen zum Thema „Doppelpässe zwischen Wirtschaft und Wissenschaft" unterwegs, warst auch unserer Einladung nach Jena etwa gefolgt zu jenem Thema. Kannst Du noch einmal Dein damaliges Anliegen kurz ausdrücken? Es ging ja um die Beobachtung, dass doch recht wenig personeller Wechsel zwischen dem Hochschulsektor und der Wirtschaft anzutreffen ist, jedenfalls in der Informatik: Einmal Hochschullehrer, immer Hochschullehrer. Kannst Du ein paar Gedanken dazu, die vermutlich auch heute noch Wahrheit besitzen, zum Ausdruck bringen?

GB: Das Thema „Doppelpass“ ist  um Zeitpunkt dieses Interviews recht aktuell, denn momentan läuft ja gerade die Fußball-WM in Brasilien. Deshalb wissen sicherlich viele, dass bei einem Doppelpass der Ball eventuell mehrfach zwischen zwei Spielern hin und her wandert. Bezogen auf das berufliche Umfeld würde das bedeuten, dass jemand sein Arbeitsverhältnis zwischen Hochschule und Wirtschaft wechselt.

An amerikanischen Hochschulen ist das seit langem üblich und wird sogar von beiden Seiten angeregt. Hier in Deutschland kenne ich eigentlich fast nur die Einbahnstraße von der Wirtschaft an die Universität, wenn überhaupt ein Wechsel stattfindet. Ganz selten geht ein Professor den umgekehrten Weg und noch weniger häufig kehrt er danach wieder an eine Universität zurück. Spontan fällt mir dazu nur mein früherer Chef Hartmut Weule ein, der von der Universität Karlsruhe zu Daimler-Benz ging und nach seiner dortigen Vorstandstätigkeit wieder an die Universität Karlsruhe wechselte und dort überaus erfolgreich seine Industrieerfahrungen bei der Gründung verschiedener Hochschuleinrichtungen eingebracht hat. So etwas sollte viel häufiger erfolgen.

KK: Die Zeit bei Alcatel SEL war gefolgt von den Jahren als Vorstandsmitglied und CIO (Chief Information Officer) der Dresdner Bank. Man hatte mit Deiner Ernennung das CIO-Amt dort erstmals auf Vorstandsebene gehoben. Ich erinnere mich, dass es ja Regularien gab und vielleicht auch noch gibt, dass ein „Nichtbanker" gar nicht so einfach direkt in einen Bankvorstand berufen werden darf. Wie hat man es damals gelöst und wie war überhaupt für Dich nun der Wechsel in solch ein Amt mit Leitung von Tausenden IT- und IT-nahen Mitarbeitern und das auch noch zu Zeiten des Internet-Hype um das Jahr 2000 herum und danach?

GB: Die Zeit bei der Dresdner Bank war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Erlebnis. Die Position des CIO war in der Tat zuvor nicht auf Vorstandsebene angesiedelt. Zunächst habe ich mich für etwa neun Monate nur als „Stellvertretender Vorstand“ bezeichnen dürfen. Das sahen die Regeln der Bankenaufsichtsbehörde in Berlin so vor. Nach einem recht entspannten Gespräch dort durfte ich dann offiziell in den Vorstand der Bank einziehen. Tatsächlich nahm ich aber auch schon davor an allen Sitzungen des Vorstands teil und durfte die IT-Belange der Bank leiten.

Neben der Funktion des CIO war ich auch zuständig für das sogenannte Transaction Banking, dessen wesentliche Bereiche der Zahlungsverkehr und die Wertpapierabwicklung waren. Im Grunde genommen war das natürlich eine direkte Anwendung von IT auf Banktransaktionen. Diesem Bereich gehörten etwa 2500 Personen an, die IT-Abteilungen umfassten zusammen etwa 1100 Personen.

In der Tat war der Internet-Hype damals in vollem Gange. An eine diesbezügliche Episode erinnere ich mich noch sehr gut. Die Deutsche Bank hatte mit der für sie typischen Bescheidenheit verkündet, dass sie jährlich etwa eine Milliarde DM für internetbasierte Bankgeschäfte aufwenden würde. Ich wurde gebeten, für eine Vorstandssitzung die diesbezüglichen Investitionen der Dresdner Bank zu beziffern. Dabei kam eine Schätzung von etwa 300 Millionen DM zustande. Die Reaktion mancher Vorstandskollegen war, dass wir deutlich mehr aufwenden sollten, um ja nicht den Anschluss zu verlieren. ‚Think big‘ war damals  ̶  wie auch heute noch  ̶  die typische Attitüde im gehobenen Management von Banken.

KK: Im Bankbereich und auch sonst hat es sich dann doch auf Dauer nicht so entwickelt, dass der CIO typischerweise Mitglied des Vorstands ist. Meist sind die CIOs direkt unter dem Vorstand angesiedelt und berichten bspw. an den Vorstand für Finanzen und anderes. Wie siehst Du hier die Gründe? Ist das eine gute Entscheidung oder Entwicklung oder wird hier teils die IT „zu tief aufgehängt" (obwohl ja Banken, Versicherungen und dgl. heutzutage quasi auch „IT-Unternehmen" sind)?

GB: Es ist meiner Meinung nach eine Riesendummheit, die Verantwortung für IT personell nicht auf der obersten Führungsebene von Unternehmen anzusiedeln. Neben den Mitarbeitern ist IT doch fast immer die wichtigste Geschäftsressource überhaupt. Jeder Leiter einer Organisationseinheit nimmt sich aber oft das Recht heraus, seine eigene IT-Organisation aufzubauen und diese mit viel Ressourcen auszustatten. Das geschieht zumeist mit dem Argument, die IT-relevanten Anforderungen selbst am besten beurteilen zu können. Das Resultat ist typischerweise ein oft aberwitzig fragmentiertes Portfolio von Anwendungsprogrammen und ein undurchschaubares Dickicht an Infrastruktur. Nie und nimmer kann so eine vernünftige Architektur entstehen, welche einerseits die Unternehmensbelange unterstützt und andererseits effektiv und effizient die erforderlichen Ressourcen bereitstellt.

KK: Du bist nach 2002 in die Selbstständigkeit übergewechselt: Unternehmensgründer im Beratungsbereich, Unternehmenspartner, auch selbst als Berater an der Front. Das war ja sicher ein völlig anderes inhaltliches Spektrum als in all Deinen vorangegangenen Berufsjahren. Was war reizvoll an jenem neuen Profil, wo lag der größte Umstellungsbedarf persönlich (nun eher ohne „Horden" von Zuarbeitern vermutlich), was waren die größten Erfolgserlebnisse (oder die größten Frustrationen)?

GB: Der wesentliche Reiz an der Selbstständigkeit war in erster Linie die damit verbundene Flexibilität hinsichtlich der Auswahl von Arbeitsthemen und Zeitgestaltung. Dazu muss man sagen, dass meine Partner und ich von Anfang an keine hochfliegenden Pläne und Expansionsgelüste hatten. Wir wollten einfach eine organisatorische Plattform haben, auf der wir unsere Berufserfahrungen bei sich bietenden Gelegenheiten an Unternehmen weiter geben konnten. Unsere Akquisitionsbemühungen waren stets eher zurückhaltend. Da wir aber gut vernetzt waren, wurden für unseren Bedarf häufig genug Anfragen an uns gerichtet. Jeder dieser Anfragen stellte ein Erfolgserlebnis dar, Frustrationen kamen nie auf.

KK: Eine Aufgabe in der Unternehmensberatung, wie oben im Lebenslauf kurz genannt, war (und ist?) das Thema Interim-Management. Das ist sicher für viele von uns, vor allem ohne sehr ausgeprägten betriebswirtschaftlichen und betrieblichen Leitungshintergrund, ein Thema mit Erklärungsbedarf und -interesse: Wann wird typischerweise ein Interim-Manager in ein Unternehmen geholt? Um welche Zeiträume handelt es sich in der Regel? Wo liegen die Schwierigkeiten, wenn man ja etwa daran denkt, dass der Interim-Manager die Entscheidungen, die er trifft, später u.U. gar nicht selbst „leben und ausbaden" kann und wird?

GB: Vereinfacht ausgedrückt kommen Interim-Manager immer dann ins Spiel, wenn es in einem Unternehmen brennt und dann dringend und schnell Kompetenz zur Lösung anstehender Probleme erforderlich ist. Es ist deshalb aus Sicht eines Interim-Managers immer eine wichtige Entscheidung, zu prüfen, ob man von der Aufgabenstellung auch wirklich etwas versteht und ohne lange Umschweife tätig werden kann. Das unterscheidet Interim-Manager von vielen Unternehmensberatern, die allzu oft Allwissenheit vortäuschen. Im Gegensatz zu Beratern erhalten Interim-Manager auch durchaus Entscheidungsbefugnisse und können so gestaltend tätig werden.

Die Tätigkeitszeiträume schwanken stark. Nie und nimmer sollten sie meiner Meinung nach unterhalb von sechs Monaten liegen, zwölf Monate sind viel vernünftiger. Ein wesentlicher Vorteil von Interim-Managern ist, dass sie in ihrem temporären Arbeitsumfeld keine Karriere anstreben müssen und deshalb sachbezogen und frei von persönlichen Rivalitäten ihre Entscheidungen treffen können. Und in einem Zeitraum von zwölf Monaten sollten die Auswirkungen von Entscheidungen durchaus erkennbar werden.

KK: Um auf Deinen gegenwärtigen Tätigkeitsschwerpunkt einzugehen: Nach unserem wieder aufgefrischten Kontakt vor kurzem sagtest Du mir, dass Du in Sachen Industrieseminare derzeit stark unterwegs seist. Du erwähntest „sicher letztes Jahr zehnmal in USA für solche Seminare". Das mag den Leser interessieren: Worum geht es inhaltlich? Wie sind die Teilnehmerkreise? Wo sind die  ̶  sicher beträchtlichen  ̶  Unterschiede zu universitären Veranstaltungen, wie Du Sie ja früher auch über Jahre durchgeführt hast? Der Bildungssektor hat zudem bekanntlich seit Jahren auch das Problem des Sparens auf Abnehmerseite, viele Bildungseinrichtungen für Industrieseminare litten und leiden darunter. Merkst Du in Deinem Sektor solche „Kundenzurückhaltung" auch?

GB: Die derzeit von mir abgehaltenen Industrieseminare laufen typischerweise unter dem Titel „Solution Architecture“. Es geht schlicht um die Konzeption und Implementierung eines vernünftigen Zusammenspiels von IT- und Geschäftsprozessen. In Abstimmung mit Cisco ist dabei ein Curriculum entstanden, welches breites Interesse sowohl bei Cisco selber als auch seinen weltweiten Vertriebspartnern gefunden hat. Der Teilnehmerkreis besteht in der Regel aus 15-20 Personen, auf deren Visitenkarten Bezeichnungen wie „Business Architect, Sales Engineer, Customer Solutions Architect, Solution Designer“ oder ähnliches stehen.

Der wesentliche Unterschied zu Vorlesungen an einer Universität besteht darin, dass die Themen der Seminare immer anhand konkreter Situationen aus dem Berufsleben der Teilnehmer illustriert und vertieft werden können. Diesen Erfahrungsschatz können Studenten ja naturgemäß noch nicht vorweisen und einbringen.

Trotz Einsparüberlegungen in Unternehmen kann ich mich derzeit wirklich nicht über einen Mangel an Beschäftigung beklagen. Auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe ich bereits ein Dutzend oder mehr solcher Seminare durchführen dürfen. Immer häufiger setzt sich in den Führungsetagen die Einsicht durch, dass die Erstellung eines Bebauungsplans  ̶  also einer Architektur  ̶  ein vernünftiges Fundament für weit reichende und umfassende Investitionsentscheidungen bilden kann und deshalb vorab erstellt werden sollte.

KK: Vielleicht kann ich zum Schluss noch einmal das Thema GI (Gesellschaft für Informatik) aufgreifen. Direkt gefragt: Bist Du weiterhin Mitglied der GI? Wie auch immer die Antwort aussehen mag, gleich inhaltlich angeschlossen: Du bist vermutlich in den 1970ern der GI beigetreten mit entsprechend kleiner Mitgliedsnummer. Was hat Dir die GI gebracht über Jahrzehnte, vielleicht ruhig dabei getrennt beantwortet zwischen den Hochschuljahren und den Wirtschaftsjahren? Was möchtest Du der GI aktuell und mit den vielen Jahren des Kennens und Mitgestaltens ins Stammbuch schreiben?

GB: Ich bin direkt nach meinem Studium in die GI eingetreten und habe mit 1004 nur knapp eine dreistellige Mitgliedsnummer verpasst. Nach wie vor bin ich Mitglied der GI und werde das auch bleiben. Während der Zeit an der Hochschule bot die GI ein prima Forum für das Zusammentreffen mit Kollegen bei Kongressen, Seminaren, Workshops und ähnlichen Veranstaltungen. Auch die GI-Publikationen haben mir immer wieder Denkanstöße für neue Fragestellungen gegeben. Ich muss zugeben, dass während der Jahre in der Wirtschaft weniger Gelegenheit zur Teilnahme an GI-Veranstaltungen bestand. Die Übersichtaufsätze im Informatik-Spektrum habe ich aber regelmäßig durchgeblättert und ab und zu einen Hinweis auf interessante fachliche Aspekte gefunden.

Ich kann der GI nur empfehlen, den derzeit eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und anzustreben, nicht nur wissenschaftlich geprägten Personen zu dienen, sondern verstärkt auch die anwendungsorientierten Interessen von Industrieangehörigen zu berücksichtigen.

KK: Lieber Gerhard, herzlichen Dank für das Interview. Ich bin sicher, es wird viele Leser interessieren, nicht nur die, die Dich seit Jahrzehnten kennen (und auch davon gibt's bekanntlich viele).

NB: (Bertal Dresen): Ich danke Klaus Küspert sehr für dieses Interview. Gerhard Barth ist in der Tat ein Informatiker mit einer außergewöhnlichen und interessanten Karriere. Nach Stefan Jähnichen ist er der zweite ehemalige GI-Präsident, der uns ein Interview gab.

Dienstag, 24. Juni 2014

Als die Preußen einst in ganz Deutschland für Ordnung sorgten

Bald sind es 200 Jahre her, dass aus dem zerstückelten Streifen Land namens Preußen ein deutscher Flächenstaat wurde. Diesen Vorgang habe ich in einer Eifler Publikation [1] aus der Sicht eines Rheinländers beschrieben. Hier möchte ich einige Details nachtragen und die Sicht anderer deutscher Landsmannschaften wie Badener, Bayern, Hessen, und Thüringer hinzufügen. Aus der Retroperspektive erinnert Preußens damalige Rolle etwas an die der Amerikaner unter Reagan und den beiden Bushs. Preußen war der Polizist nicht der Welt aber Deutschlands, und es arbeitete mit politischen Repressionen, mit Subventionen oder mit Militärschlägen. Preußen sah seine historische Aufgabe darin, den Status quo zu sichern, politisch und gesellschaftlich. Gemeint ist das alte Regime der Fürsten und des Adels. Als Bedrohung galten selbstbewusste Bürger und fordernde Unterschichten.

Studenten- und Bürgerfeste 1817 und 1832

Wie in der erwähnten Arbeit ausgeführt, erhielt der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1815 statt der polnischen Bauern und sächsischen Grenadiere, die er gerne gehabt hätte, französische Citoyens aus den ehemals geistlichen Kurfürstentümern Köln und Trier zugesprochen. Oben drauf bekam er noch ein paar Luxemburger, Oldenburger und Nassauer. Preußens Expansionsdrang und Herrschaftsgelüste gingen jedoch weiter, wie ausführlich gezeigt. Nach den Befreiungskriegen gegen Napoléon verlangte die Volksseele nach Freiheit und Einheit. Dieser Drang verschaffte sich unter anderem in zwei volksfestähnlichen Veranstaltungen hohe Aufmerksamkeit.

Im Jahre 1817 trafen sich auf der Wartburg bei Eisenach rund 500 Studenten und ihre Professoren. Jeder Teilnehmer musste versichern, dass unter seinen Vorfahren in vier Generationen weder Franzosen, Juden oder Polen waren. Der bekannteste Teilnehmer war Turnvater Jahn. In den Reden und Gesängen kam nichts wie Deutschtümelei zum Ausdruck. Gewettert wurde gegen Kleinstaaterei und gefordert wurde ein großdeutscher Nationalstaat mit eigener Verfassung und schwarz-rot-goldenen Flagge. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. war sehr besorgt und verlangte von seinem Kultusminister Karl Freiherr vom Stein, alle studentischen Verbindungen in seinem Lande zu verbieten.

Über das Hambacher Fest vom Mai/Juni 1832 enthält der Bericht Ludwig Börnes viele Details. Dieses Fest war völlig anders. Die über 20.000 Teilnehmer kamen nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch aus verschiedenen Volksschichten. Dazu kamen in Frankreich lebende politische Dissidenten und polnische Patrioten. Börne, der aus Paris angereist war, wurde angehimmelt und von einfachen Leuten aus dem Volk gefragt, ob er nicht deutscher König werden wolle. Ein junges Mädchen, das zuerst schüchtern seine Hand geküsst hatte, wurde aufgefordert, ihn auf den Mund zu küssen. Dass ihm selbst eine wertvolle Taschenuhr gestohlen wurde, erfüllte ihn mit Optimismus. Wo auch Diebe tätig sind, da wird sicher etwas herauskommen. Aus der Ferne verlangten sowohl Österreich wie die Preußen ein hartes Vorgehen gegen alle Teilnehmer dieser Veranstaltung.

Aufstand Badener Demokraten 1848

Der im Süden Badens beginnende Aufstand von 1848 hatte von Beginn eine andere Stoßrichtung als die beiden erwähnten Aktivitäten. Es ging nicht primär um die nationale Einigung, sondern um die Abschaffung der Fürstenherrschaft und die Schaffung einer demokratischen Republik. Hier konnte Preußen nicht mehr abseits stehen und andere zum Handeln drängen. Im Namen des Deutschen Bundes wurde eine ‚Operationsarmee‘ unter preußischer Führung gebildet. Sie zog von der Pfalz her nach Baden und schlug die zu den Revolutionären übergewechselten Badener Truppen bei Waghäusel. Anschließend räumte man weiter gegen Süden hin auf. Beim Einmarsch in Freiburg am 7.Juli und der anschließenden Siegesfeier in Karlsruhe nahm neben dem Großherzog Leopold von Baden auch der preußische Kronprinz teil, der spätere Kaiser Wilhelm I.

Zurückdrängen Österreichs 1866

Im deutsch-deutschen Krieg von 1866 ging es Preußen darum, Österreich aus Nord- und Westdeutschland zu vertreiben. Die Entscheidung fiel im Juli bei Königgrätz, einem Dorf in der Nähe von Prag. Gleichzeitig wurde die bis dahin Freie Reichstadt Frankfurt besetzt. Sie wurde zu 30 Millionen Gulden Kriegskontribution verurteilt, die innerhalb von 24 Stunden aufzubringen waren. Frankfurts Vergehen war, dass es als Sitz des Deutschen Bundestages Partei für ein Kaiserreich unter der Führung Österreichs ergriffen hatte. Anschließend wurde Frankfurt zur Großen Kreisstadt degradiert und der preußischen Provinz Hessen-Nassau zugeschlagen.

Übrigens ist die Schlacht von Königgrätz in Frankreich als die Schlacht von Sadowa bekannt. Napoléon III. verlangte Rache für Sadowa. Das ist nur zu verstehen, wenn man weiß, dass die Franzosen  ̶  wie der Rest der Welt  ̶  mit einer Niederlage Preußens fest gerechnet hatten. Sie hofften dann als Friedensvermittler zwischen Preußen und Österreich aufzutreten und als Lohn das Rheinland zu bekommen.

Bayrische Subventionen 1870

Der Realpolitiker Bismarck kannte genau seine Grenzen. Einem Vertrauten gestand er ein, dass er nur soweit gehen kann, wie der Vorrat an preußischen Offizieren reicht. Dieses war ein besonderer Schlag von Menschen, nämlich die nachgeborenen Söhne ostelbischer Junker. Die Eroberung Bayerns lag für Bismarck jenseits dieser Grenze. Deshalb musste Geld helfen. König Ludwig II. benötigte für seine Bauvorhaben dringend Geld. Folglich stimmte er dem Aufgehen Bayerns im Deutschen Reich zu. Insgesamt soll Ludwig mehr als sechs Millionen Goldmark erhalten haben. Diese ‚Subventionszahlungen‘ wurden geheim unter Einschaltung Schweizer Banken abgewickelt und flossen in Ludwigs Privatvermögen. Auf preußischer Seite soll das Geld seinen Ursprung im Vermögen des Hauses Wettin gehabt haben. Das sind die ehemaligen Herrscher des Königreichs Hannover.

Rheinische Separatisten 1923

Während der Besetzung des Ruhrgebiets rumorte es im Rheinland. Wie 1945 bei den Saarländern gab es um 1923 in Teilen des Rheinlands eine Bewegung, die für einen Anschluss an Frankreich plädierte. Nach einem verlorenen Krieg hat es gewisse Vorteile auf der Seite des Siegers gelandet zu sein. Nicht zu verwechseln sind diese Leute mit den führenden Köpfen der damaligen Zentrumspartei. Konrad Adenauer und Ludwig Kaas waren zwei prominente Vertreter. Sie forderten eine ‚Entpreußung‘ des Rheinlands, d.h. die Aufwertung des Rheinlands zu einem eigenen Bundesstaat innerhalb des Deutschen Reiches. Preußen umfasste zuletzt praktisch ganz Norddeutschland bis zum Main. Seine Fläche und seine Bevölkerung waren so groß wie die aller übrigen Länder zusammen. 

Alsbald ging es garnicht mehr um Preußen. Extreme von der Linken und von der Rechten verprügelten sich auf der Straße, Kommunisten und Nazis. Preußen hatte ausgedient - um es militärisch zu sagen.

Ende dieser Geschichte

Die Leser wissen, wie diese Geschichte weiterging. Es kamen Hitler und der Zweite Weltkrieg. Es sollen preußische Tugenden wie Opferbereitschaft und Pflichtbewusstsein gewesen sein, die Hitler halfen sein teuflisches Werk zu vollbringen. Die immer etwas um die Ecke denkenden Berliner meinten, dieser Hitler sei Österreichs Rache für Königgrätz bzw. Sadowa gewesen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand Preußen. Im Westen haben Engländer und Franzosen die Landkarte neu gestaltet. Aus dem von den Preußen geschaffenen Rheinland wurden deren zwei, ein englischer und ein französischer Teil. Der nördliche Teil gehört zum heutigen Bundesland Nordrhein-Westfalen, der südliche zu Rheinland-Pfalz.

Referenz


1. Endres, A.: Die Preußenzeit in der Eifel und im Rheinland. Heimatkalender 2015 des Eifelkreises Bitburg-Prüm, 53-61

Montag, 16. Juni 2014

Rainer Janßen über Mathematiker als Manager


Rainer Janßen ist Bereichsleiter Informatik (engl. Chief Information Officer, CIO) der Münchner Rückversicherungsgesellschaft, kurz Munich Re. Janßen trat 1984 in die mathematische, auch mit Informatikthemen betraute Abteilung am Wissenschaftlichen Zentrum der IBM in Heidelberg ein. Ihm wurde bald die Leitung jener Abteilung übertragen und er baute sie, unter dem Namen Institut für Supercomputing und Angewandte Mathematik (ISAM), zu drei Abteilungen weiter auf und aus. Auch mit der Rechenzentrumsleitung der IBM Heidelberg war er eine Zeit lang betraut. Ab 1993 leitete Janßen dann als Direktor das Wissenschaftliche Zentrum Heidelberg insgesamt und anschließend das Europäische Zentrum für Netzwerkforschung der IBM in Heidelberg. Gleichzeitig war er über Jahre auch Niederlassungsleiter der IBM Lokation Heidelberg.

Im Jahre 1997 wechselte Janßen als CIO zur Münchener Rückversicherung. Er zeichnete dort in den Folgejahren für wesentliche Veränderungen der Konzern-IT-Landschaft und -Strukturen weltweit verantwortlich. Mit 17 Jahren Tätigkeit ist er heute einer der dienstältesten CIOs in den DAX-Unternehmen. Janßen war und ist auch firmenextern sehr sichtbar, u.a. wurde er 2008 als ein „CIO des Jahres" von der COMPUTERWOCHE und dem CIO-Magazin ausgezeichnet. Er war und ist häufiger Konferenzredner und Keynote Speaker, lange Jahre war er Zeitschriftenmitherausgeber und -beitragender u.dgl. Janßen studierte Mathematik und Informatik an der Universität Kiel und war anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Mathematik der Universität (heute TU) Kaiserslautern. Dort wurde er 1984 zum Dr. rer. nat. promoviert.


Klaus Küspert (KK): Herr Janßen, Sie sind jetzt nach der Promotion seit genau 30 Jahren im IT-Bereich der Wirtschaft tätig: erst 13 Jahre in der IBM, nun seit 17 Jahren CIO der Münchener Rück. Sie kommen aus der Mathematik. Wie „prägend" war diese fachliche Herkunft für Ihr berufliches Leben und spielt es u.U. auch heute noch eine merkliche Rolle?

Rainer Janßen (RJ): Einerseits bin ich strikt gegen die verbreitete deutsche Haltung, das Studium nur als eine Art vorbereitende Berufsausbildung zu sehen. Eigentlich ist beim Studium vor allem wichtig, den Hirnmuskel zu trainieren, um die immer neuen und sich verändernden Herausforderungen des Berufslebens zu stemmen. Andererseits ist ein Studium, insbesondere mit Promotion, schon eine lebenslang prägende Denkschule. Da gibt es natürlich erst einmal die Differenz zwischen den Hard-Core-Sciences (MINT-Fächer) und den eher diskursorientierten Studiengängen wie MBA, BWL oder Jura. Und ich bin, ehrlich gesagt, immer noch lieber auf der MINT-Seite. Aber auch zwischen den Menschen mit einem MINT-Background habe ich in IT-Projekten erstaunlich unterschiedliche Verhaltensweisen beobachtet.

Mathematiker wollen die Probleme oft eher etwas grundsätzlicher durchdringen, bevor sie mit der Implementierung loslegen. Physiker sind oft unerschrockener, aber vielleicht lernt man das ja, wenn man schon im ersten Semester mathematische Werkzeuge benutzt, die der Mathematikstudent erst frühestens im siebenten Semester verstehen lernt. Und Ingenieure neigen dazu, bei jedem Designproblem Erfahrungswerte aus der Praxis zu berücksichtigen – und dass man im wirklichen Leben immer eine Notfalllösung braucht, weil doch alles schief gehen kann. Informatiker sind ein bisschen dazwischen, weil sie sich als junge Wissenschaft noch nicht so ganz klar einsortiert haben.

KK: Als Sie 1984 zur IBM und speziell nach Heidelberg gingen, was waren die Gründe? Welches waren da die wesentlichsten Alternativoptionen und ggf. -verlockungen für einen frisch promovierten Mathematiker wie Sie?

RJ: Für Mathematiker gab es noch nie ein klares Berufsprofil. Ein Notar brachte es beim Tod meines Vaters auf den Punkt, als ich als Beruf Mathematiker angeben wollte bei der Beantragung eines Erbscheins: „Das ist eine Ausbildung, aber kein Beruf.“
Ich wollte nicht wirklich in die typischen studienfachnahen Berufe, in denen man eher Rechenknecht für die Ingenieure war (etwa in der Automobilindustrie), aber auch nicht in die typischen Alternativen wie Management- oder IT-Beratung.

Bei IBM bot man mir eine unglaublich spannende Mischung zwischen Forschung und konkreter Anwendung mit durchaus dem Blick für gesellschaftlich Sinnhaftes, da konnte man nicht Nein sagen. In meinem ersten Projekt haben wir ein Transplantationsinformationssystem (TRAINS war der Projektname) aufgebaut, in dem ganz viele Nierentransplantationszentren rund um den Globus über die Vorläufer des Internet Informationen über Spender/Empfänger-Matching, prä- und postoperative Behandlungen und deren Einfluss auf den Transplantationserfolg austauschten und studierten. Das war intellektuell unglaublich spannend und gleichzeitig von wirklich hohem Nutzen für die Gesellschaft.

KK: Für promovierte und wissenschaftsnah arbeitende Mathematiker (und andere) ist ja auch die Hochschulkarriere potentiell interessant. Spielten Sie einmal mit dem Gedanken, vielleicht nach Jahren doch wieder an die Hochschule zurückzukehren  ̶ das soll's ja geben  ̶  oder wurde dies mit zunehmender Industriekarriere einfach unattraktiver, inhaltlich und generell?

RJ: Ich habe eine eher breite Neugier. Ich mag mich nicht dauerhaft in einem Thema festbeißen. Die akademischen Fördermechanismen zwingen einen aber sehr stark, auf einem Gebiet zu bleiben, in dem man einmal Erfolg hatte. Die Bewertungen von Vorerfahrungen, Publikationen auf einem Gebiet, in dem man sich um Fördermittel oder einen Lehrstuhl oder einen DFG-Schwerpunkt bewirbt, veranlassen einen, bei dem einmal gewählten Thema zu bleiben.

Dann war schon damals erkennbar, dass in den mir nahen Positionen der Anteil an Managementarbeit sehr hoch war, dies aber weder finanziell, noch vom inneruniversitären Wertesystem anerkannt würde. Und wenn ich die Degeneration der Ideale akademischer Bildung, die ich einmal hatte, durch Bachelor- und Master-Studium heute sehe, dann bin ich (m)einem glücklichen Schicksal dankbar, dass ich nie berufen wurde.

KK: Wie wir fast alle, die wir die IT nun über 30 oder mehr Jahre „leben und/oder lieben", kamen Sie ja aus dem Mainframe-Bereich und dann hin zu den Workstations, PCs, Verteilten Systemen, Internet, Cloud.. Wie haben Sie das erlebt (oder erlitten?) bzw. natürlich auch mit gestaltet?

RJ: Ich habe zu keiner Technologie jemals irgendeine emotionale Beziehung entwickelt. Ich habe es im Gegenteil immer gehasst, wenn in der IT immer wieder von Paradigmenwechseln, ganz neuen bahnbrechenden Technologien etc. gefaselt wurde und es dann meistens doch nur alter Wein in neuen Schläuchen war.

Wir haben 1984 bei IBM auf dem Betriebssystem VM (Virtual Machine) entwickelt. War das konzeptionell so viel anders als das, was wir jetzt mit Virtualisierung und Serverkonsolidierung im Microsoft/Linux-Umfeld machen? Oder 1995 habe ich bei IBM die ersten Folien über Network Computing mit gemalt. Zwischendurch hieß das Utility Computing, Application Service Provisioning, Web Based Services, Business on Demand und jetzt eben Cloud Computing. Früher haben wir Rapid Prototyping gemacht, jetzt eben Agile Development. Wenn man ein bisschen mit Gelassenheit hinter den Hype schaut, dann hat sich viel weniger geändert, als der ganze Hype uns einreden will.

KK: Den nahtlosen Wechsel aus der Leitung einer wissenschaftsnahen, wenngleich großen IBM-Einrichtung auf den CIO-Stuhl der Münchener Rück stelle ich mir als nicht „ohne" vor. Wie erging's Ihnen, was überraschte Sie auf dem neuen Stuhl oder was vielleicht auch nicht?

RJ: Es gab viel mehr Erfahrungen, die ich unmittelbar auf die neue Aufgabe übertragen konnte, als Wissenslücken, die mich in der neuen Aufgabe behindert hätten. Auch bei der Münchener Rück war es wichtig, nicht nur der beste Techniker zu sein, sondern sein Anliegen so ans Management kommunizieren zu können, dass es Unterstützung fand. Wie bei IBM war es wichtig, unterschiedliche Nationalitäten und ihre Managementstile zu verstehen.

Man musste sich mal wieder trauen, auch dünnes Eis zu betreten, aber auch den Angstschweiß des Programmierers riechen können, selbst wenn man die Technologie, in der er entwickelte, nicht genau kannte. Natürlich muss man sich in neue Kontexte einarbeiten, aber das hat man ja als Wissenschaftler gelernt. Ab einem gewissen Managementlevel sind eher die generellen Managementkompetenzen, als das konkrete Fachwissen relevant. Daneben ist dann eher entscheidend für den nachhaltigen Erfolg, ob die eigenen Wertevorstellungen und Vorgehensweisen mit denen des neuen Unternehmens zusammenpassen.

KK: In der Münchener Rück war Ihre Stellenbezeichnung ab 1997 „Leiter Informatik": Man benutzte erfreulicherweise also hier den Begriff Informatik, sonst tat und tut dies die Wirtschaft ja eher weniger. Was waren die wesentlichen Veränderungen, die Sie als neuer „Leiter Informatik" als erste anpackten in jenem erfolgreichen Traditionsunternehmen? Was waren dabei evtl. die Hindernisse?

RJ: Ja, Informatik war damals passend. Wir waren ein sehr auf die deutschen Teile des Unternehmens ausgerichteter Bereich. Der alte Begriff EDV war nicht mehr zeitgemäß, also passte Informatik. Mit zunehmender Globalisierung war Informatik nicht mehr tauglich. Es ist ein sehr deutscher Begriff, wie das Wort Handy. Auch „Informatics" oder „Public Viewing" versteht außerhalb des deutschen Sprachraums keiner oder er versteht es anders und damit falsch.

Was waren die ersten Veränderungen? Nun, mein erster offizieller Arbeitstag war der 1. Juli 1997, ein Dienstag. Ich war schon am Wochenende angereist und am Montag im Unternehmen. Am Dienstag nach dem Mittagessen war ein Meeting mit Vorstand, IT Management und aktuell im Hause tätigen Unternehmensberatern angesetzt. Es war zu erwarten, dass die Berater vorschlagen würden, alle laufenden Umstellungs- und Entwicklungsprojekte von Mainframe auf Client-Server einzustellen, um erst einmal durch Anpassung der Altsysteme auf dem Mainframe den anstehenden Jahrtausendwechsel (die „Y2K-Problematik" damals) zu schaffen. Am Montag habe ich mich mit vielen Teilprojektleitern unterhalten („Hallo, ich bin der Neue, wie sehen Sie die Lage?"). Am Abend war glücklicherweise auf dem Heimweg zwischen U-Bahnstation und Hoteleingang noch ein Weinladen offen, denn ich brauchte seelischen Zuspruch. Es war offenkundig nach allen Berichten, dass wir sehr tief im Dreck steckten, aber alle neuen Kollegen verströmten große Ehrlichkeit in der Statusbeschreibung und Kompetenz. Sie wussten, wovon sie redeten – ich nicht – und sie zeigten unbegrenzte Kampfbereitschaft. Auf dieser Basis habe ich dann am Dienstag dafür votiert – und der Vorstand wartete definitiv auf meine Entscheidung – mit der Client-Server-Migration fortzufahren. Und am 30.12.1999 um 12 Uhr konnten wir die letzte Mainframe-Anwendung abschalten!

KK: Die Münchener Rück ist ja, wie man hört oder weiß, ein Unternehmen mit ausgeprägter Unternehmenskultur. Können Sie uns das ein wenig erläutern?

RJ: Unternehmenskultur wird von vielen Managern unterschätzt. Sie gilt als ein weicher Faktor, ist aber doch extrem hart. Wegen Kultur haben sich in Japan Leute den Bauch aufgeschlitzt, Offiziere in Petersburg oder Berlin sich die Kugel in den Kopf geschossen, Priester ihr Leben lang auf Sex verzichtet oder sind Menschen verhungert, weil sie verfügbare Nahrung aus kulturellen Gründen nicht essen durften.
Und genauso sind Unternehmen zugrunde gegangen, weil sie ihre Kultur nicht ändern konnten. Wir beide wissen aus unseren Erfahrungen mit IBM in den frühen 1990ern, dass IBM fast an dem IBM Way of Doing Things zerbrochen wäre.
Eine starke Unternehmenskultur ist immer beides: Fluch und Segen. Und man kann sie verdammt schwer managen, weshalb auch so viele Merger schief gehen. Das erläutert am besten der Spruch über Kanada. Da heißt es: Oh Kanada, Du hättest das Beste aus drei Welten bekommen können: Amerikanische Technologie, französische Kultur und britische Regierung. Und was hast Du bekommen? Amerikanische Kultur, britische Technologie und französische Regierung!

KK: Man spricht heutzutage gerne von den großen Herausforderungen (Grand Challenges), denen sich ein Unternehmen gegenüber sieht. Welches würden Sie als die „Grand Challenges" heute für den IT-Bereich der Münchener Rück bezeichnen?

RJ: Eine zentrale Herausforderung auf allen Ebenen – von Geschäftsprozessen bis hin zur Technik – ist die zunehmende Vernetzung und Durchlässigkeit von Unternehmensgrenzen. Dies reicht von vernetzten Geschäftsmodellen entlang der Wertschöpfungskette bis hin zum Orchestrieren von Cloud-Services statt des Steuerns und Entwickelns einer in sich geschlossenen Welt, wie es früher eher der Fall war. Viele Unternehmen, so auch die Münchener Rück, haben hier starke Aufgaben und Herausforderungen.

KK: Wie sieht es mit dem Verhältnis zwischen Münchener Rück und den Hochschulen aus, welche Kontakte und Formen der Zusammenarbeit gibt es?

RJ: Wir arbeiten in unterschiedlichen Bereichen mit Universitäten zusammen, in der IT vor allem mit der TU München. Hier gibt es seit längerer Zeit Kooperationen im Bereich des Software-Engineering, aber auch immer wieder die Einbindung durch Vorträge in Vorlesungen oder Exkursionen der Wirtschaftsinformatik. Exkursionsgäste, auch mit Informatikhintergrund, hatten wir ja auch schon von anderswo her, etwa von der Universität Jena.

KK: Um noch mal und zum Schluss bei den Hochschulen zu bleiben und Ihrer Rolle als IT-Chef: Wie zufrieden sind Sie mit „New Hires" bzw. Bewerbern? Was würden Sie sich von den Hochschulen anderes wünschen in Sachen Vorbereitung aufs Berufsleben?

RJ: Da wir mittlerweile die typischen Einsteigerjobs für frischgebackene Absolventen fast vollständig an unsere Sourcing-Partner abgegeben haben, stellen wir nur noch einen geringen Prozentsatz unserer neuen Mitarbeiter direkt von der Universität ein. Aber wenn uns jemand durch Persönlichkeit und Intellekt überzeugt, sind wir da andererseits ganz flexibel. In der jetzigen Ausbildung ist mir der Anspruch an Verstehen und Bewerten wollen und können im Vergleich zum Auswendiglernen von Prüfungsstoff zu stark unter die Räder gekommen. Wenn ich früher jemanden gesucht habe, der schnell ein Buch auswendig lernen und wieder vergessen konnte, habe ich einen Mediziner gesucht. Heute erfüllt nahezu jeder Bachelor diese Qualifikation.

KK: Herr Janßen, der Blogger und seine Leser sowie ich persönlich danken herzlich für das Gespräch und die aufschlussreichen, offenen und pointiert vorgetragenen Argumente und Antworten.

NB: Dieses Interview ist nicht nur als Idee von Klaus Küspert sondern auch in seiner Ausführung. Vielen Dank.

Montag, 9. Juni 2014

Warum fordern viele Leute immer wieder (oder immer noch) mehr Wachstum?

Der Club of Rome verkündete bereits 1972 das Ende des Wachstums und bezog es auf die Weltbevölkerung und den Energieverbrauch. Dennoch erscheint der Ruf nach Wachstum fast täglich im Wirtschaftsteil unserer Zeitungen. Auch aus den Programmen vieler Parteien und den Reden vieler Politiker ist der geradezu beschwörende Ruf nach Wachstum kaum wegzudenken. Das Wort Wachstum steht in Regierungserklärungen und über EU-Ratssitzungen. Fast könnte man meinen, es mit einem Zaubermittel zu tun zu haben. Das Wort scheint etwas Magisches an sich zu haben. Um bei der Frage ergebnisoffen zu sein, hätte ich fragen müssen: Welchen Beitrag zur Lösung der Menschheitsprobleme entfällt auf eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistung und die Senkung von Produktionskosten? Dies ist etwas objektiver, dafür länger und als Überschrift eines Blog-Beitrags ungeeignet. 

In diesem Beitrag befasse ich mich zuerst mit den Erklärungsversuchen einiger Personen- und Expertengruppen, ehe ich dann meine eigenen ‚Thesen‘ zu der Fragestellung formuliere. Anstatt Thesen kann man auch Hypothesen sagen. Der Begriff des Wachstums bezieht sich in erster Linie auf die Wirtschaftsleistung eines einzelnen Landes, aber nicht nur. 

Rentner und Kabarettisten

Ein herrlicher Film, den ich dieser Tage bei Arte sah, trägt den Titel: ‚Mit 90 die Welt retten‘. Zwei Rentnerinnen aus Seattle fragen sich: Warum erzählt man uns, das wir einkaufen müssen, damit endlich die Wirtschaft wächst? Auf ihrer Suche nach einer Antwort, geraten sie zuerst an Studierende und VWL-Professoren, deren Antworten sehr unbefriedigend sind. Von ihnen werden sie an die großen Wirtschaftsunternehmen verwiesen und zuletzt an die Wallstreet. Das ganze wird eine einzige große Enttäuschung. Auf Youtube finden sie eine Rede von Bobby Kennedy aus den 1960er Jahren, der darauf hinweist, dass das Bruttosozialprodukt die falschen Werte messe. Es würde darin der Bau von Atombomben und das Abholzen von Wäldern als Wirtschaftswachstum gezählt. In einer herrlichen Szene erklärt ein emeritierter VWL-Professor, dass alle Probleme daher rühren, dass Menschen das Gefühl für Exponentialfunktionen abginge. Würden sie verstehen, dass ein jährliches Wachstum von 5% eine Verdopplung in 14 Jahren bedeutet, würden sie vernünftig handeln. Wenn die USA ihren Konsum so weiter steigern wie bisher, brauche man irgendwann vier Planeten so groß wie die Erde, um den Lebensstandard der Amerikaner aufrecht zu erhalten. Ein ökologisch denkender Wissenschaftler erinnert daran, dass die Menschheit insgesamt nicht mehr Energie verbrauchen dürfe als erneuerbare Energien gewonnen werden und dass die Menschen nicht mehr Abfall erzeugen dürften als dafür auf der Erde Platz ist. Nicht-erneuerbare Energien dürften nur in dem Maße genutzt werden, wie sie mittels erneuerbare Energie nachgefüllt werden können. Wegen ihrer theoretischen Klarheit lässt die Aussage keine Zweifel zu.

Auf den Kabarettisten Volker Pispers wurde ich von einem Freund hingewiesen. In seinem Sketch Kapitalismus, Wachstum und Wirtschaftswachstum gibt er pointierte Antworten auf wirtschaftliche Fragen aller Art. Eigentlich haben wir von Allem zu viel. Zu viele Autos, zu viele Handys, zu viele Menschen. Es gibt auch zu viel Geld. Deshalb sucht man wie verrückt nach Anlagemöglichkeiten. Was uns fehle, sei genügend Wachstum, insbesondere bei der Produktivität. Wenn die Firma VW 7% Wachstum bei der Produktivität erzielen will, gäbe es dafür drei Wege: Dieselbe Produktionsmenge mit weniger Mitarbeitern (und sonstigen Ressourcen) in derselben Zeit erzeugen, dieselbe Menge mit der gleichen Mitarbeiterzahl in weniger Zeit, oder mehr Output mit gleicher Mitarbeiterzahl und in gleicher Zeit. Alle drei Wege hätten ihre Mängel. Beim dritten, dem sozial am verträglichsten Weg, hätten wir ein enormes Absatzproblem. Wenn bereits alle Leute ein Auto haben, ist das Absatzproblem nur zu lösen durch die gezielte (technische) Veralterung in Folge der laufenden Einführung neuer technischer Schnickschnacks (wie bei Handys und Computern), oder durch die Definition eines Modewechsels (wie bei Textilien). Ähnliche Mechanismen sieht Pispers am Werk beim Einkommens- und Finanzausgleich und der politischen Willensbildung. Genau wie die beide Rentnerinnen aus Seattle, so weiß auch Pispers (aus Rheydt bei Mönchen-Gladbach) keine Antwort auf die Grundfrage: Wozu brauchen wir Wachstum?

Historiker und Philosophen

Von dem Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk stammt ein Beitrag mit dem Titel „Du musst dein Leben ständig ändern!“, erschienen im Mai 2014 in der mir bislang unbekannten Zeitschrift namens Schweizer Monat. Darin führt er die Liebe für den Begriff Wachstum auf die alte Agrarromantik zurück, die an sich längst überwunden ist. Der Bauer sei nur zufrieden gewesen, wenn er auf seinen Feldern etwas wachsen sah. Als die Europäer, beginnend im 15. Jahrhundert, dazu übergingen auf der ganzen Welt nach Reichtümern und Schätzen zu suchen, trat an die Stelle eines durch die Natur beschränkten Wachstums die Suche nach Sondergewinnen, anstatt 15% Wachstum oder Gewinn pro Jahr traten über 100%. Aus dem Planet der Bauern wurde ein Planet der Spieler. Die Antibauern (Offiziere, Alchemisten, Großkaufleute) redeten trotzdem weiter von Wachstum. Später wurden die USA zur maßgeblichen Filiale des europäischen Traums vom Wachstum. An die Stelle von rein materiellem Wachstum trat nach und nach eine Differenzierung menschlicher Wünsche. Wir wollten exotische Speisen und Gewürze. Neben den Wachstum trat der Wunsch nach einem reicheren Leben. Man will nicht nur satt werden, sondern sich auch gut unterhalten und möglichst viel erleben. Wenn wir es schaffen, quantitatives Wachstum in qualitatives Wachstum (Sozialarbeit, Kunst, Medizin) umzulenken, verbrauchen wir keine weiteren natürlichen Ressourcen.

Diese Aussagen Sloterdijks würde ich eher als historische Analyse denn als philosophische Betrachtung werten. Schon öfters hatten Peter Hiemann und ich in diesem Blog die Aussagen von Wissenschaftlern zu Wirtschaftsfragen kommentiert. Ein Beitrag vor einem Jahr befasste sich gleichzeitig mit dem deutschen Philosophen Julian Nidda-Rümelin und dem Nobelpreisträger Amartya Sen. Sen stammt aus Bangladesch und lehrt in Harvard. Wir fanden beide etwas enttäuschend.

Politiker, Volkswirte und Manager

Am lautesten wird die Forderung nach Wachstum von Politikern erhoben. Nur von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen scheinen die meisten Politiker einer Wachstums-Ideologie verfallen zu sein. Immerhin hat das Klagen darüber, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein schlechtes Maß ist, die Suche nach Alternativen beflügelt. Die von Nicolas Sarkozy einberufene Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission hat Wirkung gezeigt. Wissenschaftler  des MIT veröffentlichen seit 2013 Zahlen zu einem neuen Maß, Social Progress Index (SPI) genannt. Darin werden drei Dimensionen gewichtet: Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse, Grundlagen des Wohlbefinden sowie Chancen und Rechte. An der Spitze liegen Neuseeland, die Schweiz und Island. Deutschland liegt auf Platz 12, die USA auf Platz 16 von 50 gewerteten Ländern. Noch wird von Politikern über das neue Maß kaum geredet. Das wird sofort dann eintreten, wenn sich die Position unseres Landes verändern sollte. Eine Verbesserung der relativen Position wird sich die jeweilige Regierung zugute halten; eine Verschlechterung wird Munition für die Opposition sein. Der durch PISA bewirkte Vergleich von Schulsystemen lässt grüßen.

Aber auch die Volkswirtschaftslehre bietet kaum Theorien an, die ohne Wachstum auskommen. Fast alle Betriebswirte und Manager scheinen diesem Denken ebenfalls verfallen zu sein. Sie argumentieren fast immer mit Skaleneffekten (engl. economies of scale). Diese treten immer dann ein, wenn die fixen Kosten eines Produkts oder Dienstes auf eine große Zahl von Nutzern verteilt werden können. Das kann die verschiedensten Kostenarten betreffen, nämlich Entwicklungs-, Produktions-. Vertriebs- oder Wartungskosten. Skaleneffekte tragen mit dazu bei, dass viele Produkte und Dienstleistungen auch für eigentlich nicht vorgesehene Käufergruppen erschwinglich werden, wodurch der Massenwohlstand gefördert wird.

Einige zusätzliche Fragen und Thesen

Die bisherigen Ausführungen sollten belegen, dass eine an sich naheliegende Frage viele Menschen bewegt, nämlich: Warum brauchen wir überhaupt Wachstum? Wie bei jeder exakten Untersuchung muss differenziert werden. Zunächst muss ein Subjekt und eine Dimension benannt werden in dem Sinne: Wer und was soll wachsen? Geht es um Personen, Unternehmen, Behörden, Vereine, Parteien, Fachgesellschaften, Branchen, Volkswirtschaften oder die Weltwirtschaft? Beim zweiten Aspekt der Frage geht es um die Eigenschaft, die sich verändert, oder die Dimension. Ist es die Körpergröße, das Gewicht, die Mitarbeiterzahl (in der Biologie: die Population; in der Soziologie: die Bevölkerungszahl), der Umsatz, die Produktivität, der Gewinn, oder geht es um Anerkennung, Macht und Einfluss?

Klar ist, dass Kinder und junge Unternehmen wachsen müssen. Stillstand oder Rückgang wären tödlich. Oft geht Stillstand leicht in Rückgang über, daher ist es oft zweckmäßig generell durch minimales Wachstum gegenzusteuern. ‚Wer aufhört zu paddeln, der fällt zurück‘ so heißt es. Ab einem gewissen Alter geht bei Menschen wie bei allen andern Lebewesen das Wachsen in ein Erhalten und Reparieren über. Auch das hat gute Gründe. Große Firmen haben Vorteile, weil sie manche Dinge intern, also mit geringen Transaktionskosten, beschaffen können. Dafür verlieren sie leicht ihre Wendigkeit und Flexibilität. Das Bild der ‚großen Schlachtschiffe‘ wird dann benutzt.

Auf politischer Ebene geht es unter anderem um die Frage, wo lebt es sich besser, in großen oder kleinen Ländern. Dass im oben zitierten SPI-Vergleich drei kleine Länder vorne liegen, deutet in eine bestimmte Richtung. Dennoch hat sich die Europa-Bewegung noch nicht totgelaufen, trotz der immer stärkeren Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland und im Baskenland. Auch Putins Ukraine-Politik beweist, dass Großraum-Denken und Expansionsgelüste noch nicht ganz der Vergangenheit angehören.

Auf der Ebene der Volks- oder Weltwirtschaft benötigten wir bisher Wachstum, weil sowohl in einzelnen Ländern wie auf der Welt insgesamt die Bevölkerung wuchs. Wachstum (im Sinne des Angebots an Ressourcen) ist die Methode par excellence, um Druck aus dem (Populations-) Kessel zu lassen. Eine wachsende Population innerhalb eines beschränkten Lebensraums (Habitat) muss andere Gruppen oder Individuen verdrängen. Wie das Beispiel Galapagos zeigt, hilft Diversifizierung für eine Weile, jeder sucht zunächst eine andere Nische. Es gibt Anzeichen, dass sich im Falle Deutschlands und auch in Bezug auf die Weltbevölkerung, der Trend ändert oder umkehrt. Das führt jedoch nicht zu einem Rückgang des Ressourcen-Bedarfs.

Im betrieblichen und politischen Bereich kann Wachstum des Ressource-Angebots dabei helfen, Probleme der gefühlten Ungerechtigkeit zu lösen. Will man umverteilen, ist es schwieriger jemandem etwas wegzunehmen, als ihn nicht am Wachstum teilhaben zu lassen. Gesellschaftliche Gruppen und Organisationen verschaffen sich gerne Beinfreiheit, um soziale Probleme zu lösen.

In dem oben erwähnten Sketch von Pispers ging es u.a. um die Steigerung der Produktivität. Ich möchte darauf hinweisen, das hier sehr oft falsche Ziele gesetzt werden. Produktivität drückt aus, wie effizient eine Aufgabe erledigt wird. Sie kann fixe und variable Kosten betreffen. Sie kann da wirken, wo keine Skaleneffekte möglich sind. Andererseits ergänzt oder verstärkt sie Skaleneffekte. Sowohl bessere Technik, als auch bessere Materialien und bessere Arbeitsorganisation sind ihre Quellen. Ihr Effekt kann vielen zugute kommen, oder nur wenigen. Wichtig ist zu erkennen, dass sie nur da relevant ist, wo Kosten, Preise und Schnelligkeit der Lieferung eine Rolle spielen. Jedes Unternehmen ist gut beraten zu vermeiden, dass es in einen Preiswettbewerb hineingezogen wird. Es ist viel besser dran, wenn es mit der Originalität, der Qualität oder dem Kundennutzen seiner Produkte und Dienste werben kann. Es ist wichtiger in die Attraktivität von Produkten und Diensten zu investieren als in die Produktivität ihrer Erstellung. Verbraucherschutz und Kartellamt dürfen andere Maßstäbe anlegen.

Fazit: Es handelt sich beim heutigen Thema um eine nahe liegende Frage, für die es ohne genaue Differenzierung keine Antworten gibt. Das scheint. besonders in politischen und wirtschaftlichen Kreisen, kaum jemanden davon abzuhalten, immer wieder starke Bekenntnisse zum Wachstum abzulegen und diese auch zu verkünden.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Klaus Küspert über Praxisbezug und Mentoring, am Beispiel der Jenaer Informatik

Klaus Küspert ist Professor für Informatik und seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für Datenbanken und Informationssysteme der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zwischen 1985 und 1994 arbeitete er zunächst im Bereich Advanced Information Management (AIM) am damaligen Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg (WZH) der IBM Deutschland; später leitete er dort das Institut für Datenbanken und Software Engineering (IDSE). Ab 1990 hatte er parallel zu seiner IBM-Tätigkeit Lehraufträge an der Universität Mannheim, der TU Chemnitz und der Universität Jena. Seit 2004 ist Klaus Küspert ein Fellow der Gesellschaft für Informatik (GI), damals als erster GI-Fellow in den neuen Bundesländern. Küspert studierte Informatik mit Nebenfach „Betriebliche Anwendungen“ an der TH (heute TU) Darmstadt und wurde 1985 im Fachbereich Informatik der Universität (heute TU) Kaiserslautern bei Theo Härder zum Dr.-Ing. promoviert. Zu seinen weiteren akademischen Lehrern in Darmstadt zählten, mit unterschiedlichem Fachumfang, u.a. Hartmut Wedekind, David Parnas, Robert Piloty, Heiner Müller-Merbach und Bert Rürup.


  
Manfred Roux (MR): Klaus, Du bist seit 1995, im 20. Jahr nun also, in Forschung und Lehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. Damit gehörst Du fast von der Wende an zu den westdeutschen Wissenschaftlern, die an den ostdeutschen Hochschulen früh aktiv wurden und den Übergang vom ostdeutschen zum gesamtdeutschen Hochschulsystem begleitet und gestaltet haben. Wie stellte sich die Situation damals für Dich dar? Was waren die bemerkenswertesten positiven Erkenntnisse? Was waren die Schwierigkeiten? Gab es prägende Persönlichkeiten vor Ort in jenen Jahren?

Klaus Küspert (KK): Ich hatte mich 1993 in Jena und auch in Ilmenau beworben. Ilmenau war für mich reizvoll, insbesondere, weil mein Vater dort lange vor dem 2. Weltkrieg studiert hatte, aber Jena war schneller. Ab 1994 war ich dann, neben der Tätigkeit für IBM in Heidelberg, schon Lehrbeauftragter in Jena und 1995 richtig vor Ort. Die wesentlichen strukturellen Änderungen vom DDR- auf das gesamtdeutsche Hochschulsystem waren zu dem Zeitpunkt in Jena schon weit vorangeschritten. Sie waren also  ̶  vielleicht zügiger als an manch anderen Hochschulstandorten  ̶  sehr bald nach der Wende in Angriff genommen und in der ersten Hälfte der 1990er weitgehend umgesetzt worden.

Eine Informatik-Persönlichkeit, der Jena nach der Wende wesentlich mit zu verdanken hat, dass es dort nun einen Informatikstudiengang gab und ihn ja bis heute gibt, war der leider 2013 verstorbene  (und auch in diesem Blog gewürdigte) Gerhard Krüger aus Karlsruhe. Er war als renommierter „Westprofessor" in bedeutenden Kommissionen Anfang der 1990er in Jena und überregional tätig und setzte sich für die Informatik in Jena ein (in den 1950ern hatte er selbst mehrere Jahre in Jena studiert). Krüger engagierte sich in den 1990ern in Thüringen auch für die Ilmenauer Informatik und Telematik. Beide Informatikstandorte, Ilmenau und Jena, würdigten ihn in den 2000ern mit der Ehrenpromotion  ̶  Jena war aber, wieder etwas schneller.

Die Jenaer Informatik hatte darüber hinaus natürlich auch aus sich heraus prägende Persönlichkeiten im Umstellprozess des Hochschulsystems, der Mathematische Kybernetiker und Informatiker Gerd Wechsung ist dabei besonders zu nennen. Und ein ehemaliger IBMer spielte ebenfalls eine sehr bedeutende Rolle: Albrecht Blaser vom Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg. Er wirkte von 1991-94 in der Jenaer Informatik als Lehrbeauftragter und Honorarprofessor. Er erkämpfte nebenher mit die dauerhafte Einrichtung eines Datenbanklehrstuhls in Jena  ̶  so selbstverständlich war das um 1992/93 nicht. Und für die Universität insgesamt war der damalige, langjährige Universitätskanzler Klaus Kübel ganz essentiell wichtig im Reformprozess der Universität. Kurz und gut: Andere hatten in den frühen 1990ern für die und in der Jenaer Informatik schon Pionierarbeit geleistet, natürlich auch über die Vorgenannten hinaus.

MR: Wie hat Deine Familie diesen Wechsel von der bekannten Umgebung in Heidelberg nach Jena aufgenommen?

KK: In den Jahren 1995/96 war aus familiären Gründen zunächst an einen Komplettumzug nicht so recht zu denken. Die Kinder waren gerade gut integriert in Kindergärten und Schulen. Auch weitere familiäre Umstände erlaubten einen vollständigen Ortswechsel nicht. Ich entschloss mich in Absprache mit Ehefrau und Familie also zum Spagat und Wochenendpendeln zwischen Thüringen und der Region Heidelberg. Später, mit größer werdenden, heute erwachsenen Kindern wäre das Komplettumziehen eher möglich gewesen, aber wir hatten nun und haben uns mit dem Spagat und Zweitwohnsitz (natürlich angemeldet!) einigermaßen arrangiert.

Der Ausdruck „Spagatprofessor" mag etwas negativen Klang haben, ich denke aber, wirklich Nachteile hatte und hat es bei mir  ̶  und vor allem bei unseren Studierenden  ̶  de facto nicht. Ich bin bis auf die normalen Urlaubswochen, oder mal eine anderweitig bedingte Abwesenheitsperiode, viel in Jena vor Ort: während der Lehrveranstaltungswochen und auch während der Semesterferien. Ich gehöre zu den Anhängern physischer Präsenz am Arbeitsplatz. Ich bin kein Home-Office-Mensch. Das mag etwas generations- und industriebedingt sein aus klassisch erlerntem Büroverständnis. Termine mit den Studierenden etwa sind bei mir also ziemlich flexibel möglich, das überrascht manchen und wird auch durchaus als entgegenkommend gewürdigt.

Und mein Spagat hat darüber hinaus noch einen weiteren studierendenfreundlichen Aspekt, vielleicht kommen wir darauf nachher ohnehin noch zu sprechen: Ich betreue Jenaer studentische Arbeiten vor allem der Informatik und Wirtschaftsinformatik (früher Diplom-, heute Bachelor- und Masterarbeiten, Praktika, u.a.) sozusagen „quer durch die Republik", insbesondere auch gemeinsam mit Unternehmen und inner- und außeruniversitären Einrichtungen. Das geschieht einerseits natürlich ganz stark direkt in Jena und Thüringen. Aber im Laufe der Jahre gab's und gibt's auch zahlreiche gemeinsame Betreuungen etwa mit IBM, SAP, Daimler und anderen in „Deutsch-Südwest"  ̶  bekanntlich ein deutsches IT-Ballungszentrum hersteller- und anwenderseitig. Das lässt sich für mich durch die beiden Standbeine (Dienstort = Thüringen und Wohnort = Nordbaden) sehr gut einrichten. Ich bin da also regelmäßig zu Gesprächen mit den Studierenden und Firmen am Durchführungsort ihrer Abschlussarbeit, egal ob nah oder fern zu Jena gelegen. Auch das überrascht gelegentlich: Manche Firmen aus nah und fern sind es bei gemeinsam betreuten Abschlussarbeiten gar nicht gewohnt, den Professor regelmäßig (oder überhaupt) am Firmensitz zu sehen in gemeinsamen Gesprächs- und Betreuungsrunden. Es kommt positiv an. Aktuell z.B. betreue ich Masterarbeiten Jenaer Studierender in Stuttgart, Coburg, Nürnberg, natürlich gemeinsam mit dem jeweiligen Firmenbetreuer vor Ort. Plus die vielen in Jena gemeinsam betreuten Arbeiten, oft „über die Straße".

MR: Ich habe gehört, dass ziemlich viele Schüler in der DDR, die später ein Studium der naturwissenschaftlichen Fächer oder der Informatik aufnahmen, bereits in der Schule eine besondere mathematische Förderung genossen haben. Wie sah das aus und wie machte sich das im Studium bemerkbar?

KK: Es gibt hier die Schulform der so genannten „Spezis". Deren Abiturienten zählen oft zu unseren herausragenden Informatikstudierenden. Ich erkläre es am Beispiel Jena, aber in Thüringen gibt's ähnliches in Erfurt und in Ilmenau. Das Jenaer Carl-Zeiss-Gymnasium wurde 1963 als „Spezialschule Carl Zeiss" gegründet und war jahrzehntelang eine Stätte sehr guter, wissenschaftlich geprägter Fachvorbereitung  ̶  insbesondere in Mathematik, später auch schon in Informatik  ̶  für künftige Universitätsstudierende und letztendlich Mitarbeiter des gleichnamigen Kombinats. Seit den 1990ern ist das Carl-Zeiss-Gymnasium in Jena nun ein „normales" Gymnasium, aber weiter auch mit mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Spezialklassen. Von dort kommen teils klasse Abiturienten zu uns an die Universität, aber natürlich auch an andere Universitäten in Thüringen.

Wir haben sehr gute Kontakte zu den Informatiklehrern an der Spezi. So wird z.B.  jetzt im Juni gemeinsam von Spezi und Universität die zentraleuropäische Informatik-Olympiade in Jena ausgerichtet. Und wir bilden am Institut für Informatik bei uns auch im Studiengang „Informatiklehramt an Gymnasien" aus. Unser Professor und Kollege für Didaktik der Informatik, Michael Fothe, war zuvor selbst lehrend und leitend an der Spezi in Erfurt tätig. Das trägt alles zu jenem guten Zusammenspiel bei. Die Schüler der Spezi Jena haben teils schon während der Schulzeit mit der Universitätsinformatik zu tun, etwa im schulischen Projekt. Es werden universitätsseitig Fachvorträge an der Spezi Jena bzw. den thüringischen Spezis gehalten. Zu Vorwendezeiten haben auch Mathematikprofessoren unserer Fakultät zusätzlich direkt an der Spezi gelehrt. Der Übergang dann vom sehr guten Schüler zum sehr guten Studenten wurde dadurch natürlich enorm gefördert und, wie gesagt, die Zusammenarbeit Spezi-Universität klappt auch heute weiter exzellent.

MR: Die Bologna-Reform wird ja von vielen Professoren durchaus negativ gesehen. Inzwischen sind die Studiengänge vom Abschluss mit Diplom auf Bachelor/Master umgestellt worden. Wie bewertest Du diesen Umstieg?

KK: Ich sehe, im Unterschied vielleicht zu manchen Kollegen, durchaus positive Seiten in der jetzigen BaMa-Welt gegenüber der früheren Diplomwelt:
  • Natürlich zunächst mal die kürzere Studiendauer bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss: 3-4 Jahre jetzt, gegenüber 5-6 Jahren früher. Ich begrüße dies.
  • Höherer und zeitnäherer Praxisbezug im Studium als früher: Es sind z.B. bei uns bestimmte Lehrveranstaltungen im Pflichtprogramm der ersten vier Semester, die's früher allenfalls im Wahlprogramm der höheren Semester gab. Heute inhaltlich teils knapper, ja, aber vorhanden.
  • Gute Erfahrungen mit der Akzeptanz der Bacheloren in der Praxis: Es gab vor fünf und mehr Jahren bekanntlich warnende Stimmen, auch von prominenter Seite, einen Informatik-Bachelor würde niemand einstellen wollen, es sei ohnehin der Master also notwendig und werde die Regel sein.
Für unsere Jenaer Informatikabsolventen ist dieser dritte Punkt nicht so eingetreten und ich denke, anderenorts gilt gleiches:
  • Wer nach dem Informatikbachelor gleich in die Praxis möchte und passable Studienleistungen und -ergebnisse vorweisen kann und vielleicht sogar schon etwas studienparallele Praxis, wird gerne genommen. Er/sie kommt an.
  • Wer ein Masterstudium direkt an den Bachelor anschließen möchte, der kann dies full-time tun oder Firmentätigkeit mit Masterstudium zeitlich unter einen Hut bringen. Viele unserer Masterstudenten, auch wenn sie gerade erst den Bachelor erworben haben, arbeiten parallel schon vor Ort oder darüber hinaus in einem Unternehmen (wo sie teils auch schon ihre Bachelorarbeit angefertigt haben). Das scheint meist gut zu gehen in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht.
  • Wer nach Schule und Bachelor erst mal genug von „der reinen Lehre“ hat und voll in die Praxis möchte und dann später vielleicht doch zurück an die Uni für den Master, der kann dies auch tun.
Diese Flexibilität insgesamt begrüße ich und ebenso die Flexibilität des Wechsels zwischen Uni, FH, BA (wir haben BAs in Thüringen in Eisenach und Gera, mit sehr guten Kontakten dorthin übrigens).

MR: Im Jahr 2008 wurdest Du von der Zeitschrift „UNICUM Beruf“ als ein „Professor des Jahres“ ausgezeichnet, als herausragender „Wegbereiter für Karrieren“. Diese Wegbereitung stellt sich zum Beispiel auch durch den Praxisbezug der Lehre dar. Wie muss man sich das vorstellen? Und 2009 gab’s für Dich ja noch den Lehrpreis Eurer Universität mit ähnlicher Begründung (intensive Betreuung der Studierenden).

KK: Ich denke, wir tun da am Lehrstuhl in der Tat einiges. Ich nehme mal als Beispiel das Mentoren-Programm, das an unserem Institut eingeführt wurde mit BaMa-Beginn 2008/09. Jeder Studierende bekommt von Beginn an einen Mentor (Professor, Dozenten) zugeteilt.Ich mache es so, dass ich meine zugeteilten (Bachelor-) Mentees zweimal pro Semester abends ins Restaurant einlade zum lockeren Gespräch. Dabei geht's natürlich auch um Studienhinweise und um den Appell, „Leute, macht neben dem Studium schon etwas in der Praxis!". Da sind die Studierenden in früher Phase oft zurückhaltend und zweifeln, ob das nach 1-2 Studienjahren schon sinnvoll und möglich ist  ̶ meine Antwort „Ja, natürlich". Ich meine damit bspw. Praktika in den Semesterferien (wie ich sie selbst im eigenen Studium jeweils nach dem 2., 4., 6. und 8. Semester gemacht hatte). Wir haben gerade aktuell schöne Fälle: etwa von einem hervorragend verlaufenen Industriepraktikum nach dem 4. Semester, ein hoffnungsvolles nach dem 2. Semester beginnt in diesem August usw. Und ich betreue  ̶  und vermittele teils  ̶  die Pflichtpraktika unserer Bachelorstudenten im Studiengang Angewandte Informatik. Ich kümmere mich relativ stark darum, bin auch viel vor Ort.

Darüber hinaus haben wir für die Studierenden 15 Jahre lang Exkursionen in die Praxis durchgeführt. Wir akquirieren Lehraufträge und -beauftragte aus der Praxis (einer, seit 2008, heißt Manfred Roux), ermöglich(t)en Produktzertifizierungen für Studierende (insbesondere zu IBM DB2), laden stets Praxisvorträge mit in die Lehrveranstaltungen ein etc. IBM ist auch seit vielen Jahren durch einen Honorarprofessor, Martin Welsch aus Böblingen, in der Lehre und Forschungszusammenarbeit am Institut engagiert.

MR: Wie kommt dieser Praxisbezug bei den Studenten an? Wie sehen da die Rückmeldungen aus?

KK: Insgesamt wird das durchaus gewürdigt und „kommt an". Es sind natürlich Dinge darunter, die sich auch erst herumsprechen müssen. So wechselte dieser Tage ein Student seinen Mentor, bzw. bat um Wechsel zu mir, weil er wohl gehört hatte, dass ich ein guter Praxisratgeber sei. Vielleicht ist's aber auch mehr wegen der Restaurant-Einladungen. Manche Dinge  ̶  das soll auch nicht verschwiegen werden  ̶  laufen aber auch etwas zäh oder brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Ich nenne mal drei, sehr unterschiedliche Beispiele:
  • Wenn wir IBMer mit Mainframe-Hintergrund zu Gastvorträgen einladen, was wir regelmäßig tun, muss gelegentlich der Dolmetscher ran, das bin ich. Es gab schon mehr als einen Fall, wo die Terminologie eben etwas weg von jener der Vorlesung und der Wissenschaftsszene allgemein war, dass Dolmetschen erforderlich wurde („in der Vorlesung bei uns entspricht dies ..."). Es geht aber schon, es ist also mehr zum Schmunzeln als dass es ein Ärgernis ist. Und es gibt den Studierenden auch schon einen ersten Eindruck, dass eben die Praxis oft anders „spricht“ als die Hochschule.
  • Oder die Exkursionen zu bekannten Wirtschaftsunternehmen: Da so etwas an unserer Fakultät weitgehend unüblich war und ist (eben bis auf unseren Lehrstuhl), existiert(e) auch keine ausgeprägte „Exkursionskultur". Da kam von einigen Studierenden schon das Denken à la „was bringt mir das?", „kann ich mir nicht anrechnen lassen im Studium?", „machen die Firmen da nur Werbung oder was??". Wir hatten teils sogar Probleme, die Teilnehmerliste zu füllen. Wegen des zudem hohen organisatorischen Aufwands im Exkursionszusammenhang haben wir diese nun in den letzten zwei Jahren nicht mehr durchgeführt. Schade eigentlich, denn unsere Exkursionsteilnehmer zwischen Zürich und Krakau waren 'danach' stets begeistert, auch die vorherigen Zweifler.
  • Oder die Teilnahmezertifikate, auch „Schöne Scheine" genannt. Wir führten sie am Lehrstuhl vor gut 10 Jahren ein. Damals bekamen generell alle Studenten „Scheine" ausgehändigt über bestandene Lehrveranstaltungen (Übungsscheine, Seminarscheine, u.a.). Diese mussten sie sammeln und später beim Prüfungsamt vorlegen. So ein Schein hatte nur den Titel der Lehrveranstaltung drauf stehen plus ggf. die Note. Fürs Prüfungsamt reichte dies ja auch. So war’s fast überall an deutschen Hochschulen. Unsere Lehrstuhlidee 2003 war nun, „Schöne Scheine" oder Zertifikate auszustellen bei erfolgreicher Teilnahme, aus denen auch hervorging, WAS in der Lehrveranstaltung inhaltlich gemacht wurde, welche Kenntnisse vermittelt wurden. Damit der Studierende das auch extern „vorzeigen" kann bei Bewerbung, Praktikumsinteresse etc. Ich weiß, dass so etwas von Firmen gerne gesehen und auch gewürdigt wurde und wird („der Bewerber hat ja fünf Zertifikate von Ihnen, Herr Küspert, schön“). Die Scheine sind universitätsintern bei uns seit BaMa-Zeiten abgeschafft. Wir geben aber weiterhin die „Schönen Scheine" aus für jene externe Verwendung. Viele Studenten holen sie aber nicht (mehr) ab, weil ihnen der Nutzen nicht bewusst ist  ̶  trotz Erklärung. Auf Nachhaken meinerseits wurde ich schon mal von einem Studierenden freundlich belehrt, mir sei wohl entgangen, dass es Scheine nur damals zu Diplomzeiten gegeben habe. Man sieht, es ist oft schwer, Studierende zum Jagen zu tragen. Vor allem, wenn sie nicht zuhören.
MR: Von 1999 bis 2011 hat Dein Lehrstuhl die „Jenaer Datenbanktage“ veranstaltet. Wie würdest Du diese Veranstaltung mit Absolventen, einem kleinen Kreis von Teilnehmern aus Wissenschaft und Industrie, und Doktoranden in Deine Bemühungen um Praxisbezug einordnen?

KK: Die Veranstaltungsreihe war entstanden erst mal weitgehend mit lehrstuhlinternem Fokus, unter Beteiligung weniger Externer. So zogen wir uns mit insgesamt etwa 20 Personen  ̶  Lehrstuhl, Diplomanden, HiWi's, wenige Gäste  ̶  im September 1999 für zwei Tage in ein einsam gelegenes Hotel im Thüringer Wald zurück, quasi in Klausur. Dort wurden Fachvorträge gehalten von Lehrstuhlseite sowie Zwischen- und Abschlussvorträge etwa zu Diplomarbeiten am Lehrstuhl. Dies alles natürlich auch mit vielen Möglichkeiten zu Gesprächen und zur Diskussion, gemeinsamer Wanderung, usw.

Diese Veranstaltungsreihe wurde dann sehr geschätzt und zur „Institution": jährlich bis 2011 fast immer im September, immer für zwei Tage und fast immer in idyllisch gelegenen Thüringer Hotels (einmal waren wir auch 100 Meter auf sachsen-anhaltinischem Terrain, das hat uns auch nicht geschadet). Der Teilnehmerkreis wuchs stetig an, es wurden Lehrstuhl-Alumni mit eingeladen, Lehrbeauftragte, weitere Freunde des Lehrstuhls, Firmen. Es entwickelte sich in die Gegend von 50 Teilnehmern, darunter auch mehrfach ein paar bedeutende Persönlichkeiten der IT- und Hochschulszene: Klaus Tschira nahm z.B. auf unsere Einladung hin mehrfach teil, Hartmut Wedekind häufig, Albrecht Blaser immer, plus ein paar aktive oder ehemalige CIO's aus großen deutschen Unternehmen. Wir hätten locker auch 100 Teilnehmer jeweils „zusammen bekommen", aber es musste ja neudeutsch 'manageable'  bleiben.

Es war eine tolle Sache und hat den Kontakt Lehrstuhl/Studenten/Wirtschaft weiter gestärkt. Für einen 23-jährigen Studenten war und ist es schon ein Erlebnis, nach seinem Diplomarbeitsabschlussvortrag begeisterte Kommentare eines CIO zu erhalten oder gleich die Anregung, sich in Sachen Stelle bitte unbedingt mal mit diesem oder jenem Mitarbeiter seines Unternehmens in Verbindung zu setzen. Wir haben dann nach der 13. Durchführung 2011 mit der Reihe Schluss gemacht. Man soll bekanntlich aufhören, wenn's am schönsten ist. Und ich bin generell gegen „Dauerbrenner": Wäre ich das IOC und für die Olympischen Spiele verantwortlich, hätte ich die Reihe sicher auch bald nach der 10. Durchführung für beendet erklärt. Und wenn's dann viele schade finden, so auch bei unserer Reihe, dann ist dies auf Veranstalterseite gern gesehenes Lob für die Idee und erfolgreichen Durchführungen.

MR: Heute sind viele Lehrstuhlinhaber und deren Studenten in Forschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit der Industrie tätig. Wie empfindest Du diese Interaktion? Siehst Du die anwendungsorientierte oder praxisorientierte Forschung als positiven Einfluss auf die Lehre, wie denkst Du darüber?

KK: Ich stehe dem natürlich absolut positiv gegenüber, sicher nicht überraschend nach den vorangegangenen Antworten hier im Interview. Wir hatten am Lehrstuhl von Beginn 1995 an zahlreiche wissenschaftlich-praktisch befruchtende Industriekooperationen. Ich weiß noch sehr gut, wie einige der ersten  Dissertationsthemen am Lehrstuhl in der zweiten Hälfte der 1990er in engem Kontakt mit IBM bearbeitet wurden (Datenbank-Backup und -Recovery) bzw. mit SAP (Datenbank-Archivierung). Und um die 2000er herum hatten wir mehrere SAP-finanzierte Doktorandenstellen am Lehrstuhl. Später ab 2005/06 über mehrere Jahre ein sog. CAS-Projekt mit IBM Böblingen zu Autonomem Datenbank-Tuning . Zwei Dissertationen gingen daraus hervor. Seit 2009 enger Fachkontakt mit der DATEV und Zusammenarbeit. Plus natürlich regional in Thüringen und Jena viel enger Fachkontakt. Das alles war und ist ungemein wichtig zur Erzeugung praxisrelevanter Forschungsinhalte und Forschungsergebnisse.

Und seit 2002 haben wir stets einen Mitarbeiter am Lehrstuhl, der in einem Halbe-Halbe-Arbeitsverhältnis ist: also 1/2 auf Landesstelle (steuergeldfinanziert), 1/2 direkt bei Firma angestellt. So war es bis 2006 mit IBM, danach bis 2011 mit ORISA (einem mit uns sehr verbundenen Jenaer KMU), seit 2012 mit der DATEV. Das sorgt sehr für die Bodenhaftung in Lehre und Forschung. Wohlgemerkt, es geht hier, bei jenen Halb-Halb-Stellen  ̶  etwas zum Leidwesen des Universitätsrektors oder -kanzlers  ̶  nicht um Drittmittelprojekte. Eher Public-Private-Partnership: die öffentliche Hand zahlt ihre Mitarbeiterhälfte, das Unternehmen seine. Das sorgt vielleicht für noch mehr Praxisnähe als an die Universität transferierte Drittmittel.

MR: Mir fällt auf, dass Deine „Ehemaligen“ ein Netzwerk bilden. Du stellst sozusagen das Zentrum dar, aber die Absolventen sind auch untereinander im Kontakt.  Du verfolgst und begleitest  deren Laufbahn aktiv. Ist das im deutschen Hochschulwesen eine gängige Praxis oder eher die Ausnahme? Empfinden Deine Ehemaligen nach wie vor eine große Affinität zum Lehrstuhl?

KK: Wir pflegen am Lehrstuhl von Beginn an (1995) eine Alumniliste, in der alle unsere Lehrstuhlabsolventen verzeichnet sind, also die bei uns oder mit uns am Lehrstuhl ihre Abschlussarbeit gemacht haben (Diplom, Bachelor, Master, Staatsexamen, Promotion). Darunter sind nicht nur Informatiker, sondern auch viele Wirtschaftsinformatiker und  ̶  in geringeren Zahlen  ̶  auch Wirtschaftsmathematiker, Bioinformatiker, Lehrämtler, u.a. Das heißt natürlich nicht, dass zu allen 200 permanent wirklich enger Kontakt besteht, das kann nicht funktionieren. Einige, relativ wenige Absolventen aus den letzten 20 Jahren haben wir auch aus den Augen verloren und die Liste mag an ein paar Positionen auch veraltet sein – „ohne Gewähr" also. Aber zu allen am Lehrstuhl Promovierten seit 1999 besteht solch enger Kontakt und zu Dutzenden weiteren Absolventen der Liste und darüber hinaus, so kann man das schon sagen.

Sehr viele Lehrstuhl-Alumni sind natürlich auch in Jena vor Ort, etwa im lokalen, prosperierenden E-Business-Sektor und in anderen Firmen und Einrichtungen. Da sieht man sich ohnehin oft, etwa zu auch extern angekündigten Vorträgen u.dgl. Hier spielt auch die „Kompaktheit" und Überschaubarkeit Jenas eine hilfreiche Rolle: Viele Firmen, gerade im IT-Bereich, sitzen nur rund 100 Meter vom Universitätscampus entfernt. Aber wie gesagt, auch zu den „entfernten" Alumni bestehen oft gute Kontakte. Dies alles auch wieder zum Wohl und Nutzen der aktuell Studierenden, etwa wenn's um Sondierung für Praktikumsplätze geht, gemeinsame Betreuung von Abschlussarbeiten etc. Das funktioniert dann sehr gut und auf dem kleinen Dienstweg.

MR: Noch eine letzte Frage, mit der Bitte um kurze Antwort: Du bist an Eurer Universität auch in Sachen Deutschlandstipendien aktiv. Kannst Du uns in ein paar Sätzen erklären, worum es bei den Deutschlandstipendien geht und wie Deine Rolle an der Friedrich-Schiller-Universität diesbezüglich ist?

KK: Gerne. Das Deutschland-Stipendienprogramm wurde 2010/11 geschaffen deutschlandweit, um auch in Deutschland  ̶  wie etwa im angelsächsischen Raum und anderswo  ̶  eine stärkere und breitere „Kultur" von Förder- und Stipendiatentum im Hochschulbereich zu etablieren. Bekanntlich gibt es in Deutschland durchaus seit langem renommierte Stipendienprogramme, etwa seitens der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der Parteien und anderer Stipendiengeber. Aber es ist bisher oder war bisher nur ein ganz kleiner Prozentsatz von Studierenden, der über solche Stipendien gefördert wird bzw. wurde. Genau da sollte und soll das Deutschlandstipendium programmtechnisch ansetzen. Das Konzept sieht so aus, dass durch Studienleistungen und auch darüber hinaus ausgewiesene Studierende sich um ein Deutschland-Stipendium im Umfang von 3600€ jährlich bewerben können. Finanziert wird das dann jeweils hälftig durch einen privaten Stipendiengeber und durch den Bund. Also „Berlin" zahlt 50%, 50% müssen von außerhalb kommen („privat").

Für die Stipendienanteile aus dem privaten Sektor muss also die Universität Förderer (Stipendiengeber) finden. Es gibt da verschiedene Modelle als Pate oder Förderer oder Unterstützer, diese Details lasse ich hier mal raus. Es ist für die Universität nun natürlich nicht so einfach, solche Geldgeber in hinreichend großer Zahl zu identifizieren, zum Fördern „zu überreden", bzw. gibt es da auch fachlich Unterschiede. Firmen fördern natürlich besonders gerne solche Studierende, die sie vielleicht später mal durch den aufgebauten Kontakt als Mitarbeiter oder auch vorher schon mal als Praktikant, Werkstudent gewinnen könnten. Das heißt, es ist für das Fachgebiet Informatik durchaus einfacher, Förderer/Firmen zu gewinnen, als etwa für ein Fachgebiet Kaukasiologie oder Gesellschaftstheorie.  Aber auch in der Informatik geht's nicht von allein, dass etwa Firmen  ̶  oder gar Privatpersonen  ̶  das Portemonnaie öffnen.

Durch meine ohnehin vorhandenen Firmenkontakte und die meines Lehrstuhls konnte ich ab 2011 die Universität unterstützen bei der Akquise von Förderern/Firmen. Insbesondere betraf und betrifft dies regionale Unternehmen, aber auch überregionale, große Unternehmen sind unter den Förderern. Ab 2012 entschied ich mich darüber hinaus, auch privat ein Deutschlandstipendium als Förderer zu übernehmen. Insgesamt finde ich das Konzept der Deutschlandstipendien als einen sinnvollen Ansatz, deshalb ja auch mein Engagement dort in den genannten Weisen.

MR: Klaus, ich danke Dir für dieses umfassende Interview, das viele Facetten Deines akademischen Berufslebens berührt hat. Ich danke Dir auch für die klare Positionierung zum Thema Praxisbezug der Lehre an Hochschulen. Wie Du weißt, decken sich einige Deiner Positionen mit meinen. Aber ich bin ja nun mal ein ehemaliger Praktiker, der des Öfteren die Ergebnisse der Lehre – die Absolventen – in Interviews, Assessment Centers und in der nachfolgenden betrieblichen Praxis erleben durfte. 

NB: Nach dem Interview vor vier Wochen mit Namik Hrle, dem neu ernannten IBM Fellow, ist dies das zweite Interview, das mein Freund und Ex-Kollege Manfred Roux völlig eigenverantwortlich besorgt hat. Nachahmungen werden empfohlen.