Samstag, 29. August 2015

Nochmals: Quantentheorie für Anfänger

Während wir auf den Übertragungsbeginn eines Playoff-Spiels der Europa League warteten, tauschten Hans Diel und ich uns über sein Doppelschlitzpapier [1] aus. Wegen des Spaßes, den ich dabei hatte, schrieb ich meine Fragen auf. Hans Diel war freundlicherweise bereit, sie auch schriftlich zu beantworten. Damit hatten wir unseren nächsten Blog-Eintrag zum Thema Quantentheorie (QT). Da ich reiner Laie bin, vermeide ich das Wort Fachgespräch. Es läßt sich eher als freundschaftliches Palaver bezeichnen. Wir setzen damit unsere Diskussionen fort, die im März 2011 begannen.

Begriffsstutziger Dummy (BD): Die Kernaussage Ihres jüngsten Papiers möchte ich wie folgt paraphrasieren: Feynman sagt: Wenn immer feststellbar ist, welchen Weg die Photonen nach der Schlitzwand nehmen, dann ist der Spuk vorbei. Diel sagt: Wird festgestellt, welchen Weg.… Worin liegt der Unterschied dieser Aussagen? Ist die eine Vorbedingung rein hypothetisch, im Sinne von ‚es existiert ein Verfahren, das feststellen kann…‘, die andere dagegen auf konkrete Fälle bezogen, also auf eine reale Situation beschränkt?

Hans Diel (HD): Wie Sie wissen, war der Auslöser für meine Kritik an Feynmans Regel mein Versuch ein Computermodell zu erstellen, welches u. a. das Doppelschlitz-Experiment simulieren können sollte. Mein Computermodell muss also an einer Stelle entscheiden, soll das Interferenzbild gebaut werden oder nicht. Ein Entscheidungskriterium wie  „wenn immer feststellbar ist, welchen Weg die Photonen nach der Schlitzwand nehmen“ hilft mir dabei überhaupt nicht, es sei denn es wird irgendwo genau definiert wie bei Experimenten der Quantenphysik generell entschieden werden kann, ob „feststellbar ist, welchen ….. „. Eine derartige Definition oder Erklärung gibt es jedoch in der gesamten (Literatur zur) Quantenphysik nicht; aus dem einfachen Grund, weil man dabei schnell bei einem anderen Problemgebiet der Quantenphysik, dem Messproblem der Quantenphysik landet (siehe auch unten). Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass die Formulierung „Wird festgestellt, welchen Weg … „ ein letztlich besseres Entscheidungskriterium liefert. Mein Vorschlag für ein „faktbezogenes“ Entscheidungskriterium wird gegen Ende meines Artikels geliefert.

Ich muss noch hinzufügen, dass ich zu der Überzeugung gelangt bin, dass die von mir kritisierte Feynman-Regel nicht nur ein Problem für die Entwickler von Computermodellen darstellt, sondern dass hier m.E. eine generelle Schwachstelle der Quantenphysik vorliegt.

BD: Verstehe ich Sie richtig, dass in der QT Messgerät und Messobjekt immer Information austauschen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass zwei Steine, die kollidieren, Information austauschen? Sie merken sich doch nichts. Anders die Meeresschnecke (Aplysia). Rannte sie gegen einen Stein (selbst im Schneckentempo), dann merkt sie sich das. Sie speichert etwas in ihrem Gedächtnis. Aber doch nicht die Steine? Nur ein (intelligenter) Beobachter kann feststellen, dass sie jetzt anders liegen als vorher.

HD: Sie haben in unserer Diskussion einmal die Formulierung „Spuren hinterlassen“ benutzt. Wenn Sie also anstatt „Information austauschen“ sagen „Spuren hinterlassen“ trifft es das, was ich sagen wollte, erspart uns aber eine Diskussion zum Thema „Information“.  Allerdings möchte ich im Zusammenhang mit dem Thema „Messen“ doch lieber den Begriff  „Information“ oder „Information hinterlassen“ verwenden.  Ich sage also „Bei einem Messvorgang hinterlässt das Messobjekt Information im Messgerät“. (Die Formulierung „Informationsaustausch“ ist etwas weniger glücklich, weil das nach genereller Symmetrie klingt. Bei „Information  hinterlassen“  wird eher deutlich, dass dies nur auf der Seite des Messgeräts passieren kann.)
Zu „Meeresschnecke“ und „Stein“: Wenn Sie darauf bestehen, dass Information nur bei einem (intelligenten) Beobachter hinterlassen werden kann, kann ich nicht  mehr weiter argumentieren. Dann müssten wir gemeinsam nach einer Alternativformulierung suchen, die Ihrem Informationsverständnis gerecht wird.

BD: Ich wiederholte den Begriff ‚Spuren‘ deshalb nicht, weil man bei einem Stein sofort an gut sichtbare Schrammen denkt. Diese können auch nach Jahrhunderten noch von einem informationsverarbeitenden Wesen oder Gerät als Information interpretiert werden. Nicht jeder Kontakt oder jede Kollision hinterlässt sichtbare Spuren. Aber lassen wir dieses Thema. Muss jedes Objekt, das unter den Einfluss eines Kraftfelds gerät, wissen, was mit ihm geschieht? Muss es die Kommunikation, die stattfindet, interpretieren können?

HD: Begriffe wie „Wissen“ und „Kommunikation interpretieren“ sind für die Physik Fremdworte. Wenn Sie fragen wollen, ob ein Kraftfeld an einem Objekt, auf das es einwirkt, Spuren (=Information) hinterlässt, macht das für die Physik schon mehr Sinn. Meine Antwort: Meistens verändert das Kraftfeld nur die Bahn des Objekts auf welches es einwirkt. Beispiel für Änderungen am Objekt selbst: Ebbe und Flut.

BD: Dass viele Dinge, die es gibt, für Physiker Fremdworte sind, ist bekannt. Deshalb sollten Physiker vorsichtig sein, wenn sie behaupten, sie könnten alles erklären. Sehr zentral ist für Sie der Begriff Interaktion. Findet Interaktion (Attraktion oder Abstoßung) statt, befinden sich beide Objekte doch (meist) in einem gemeinsamen Kraftfeld. So etwa Mond, Erde und Sonne, oder zwei Steine, die denselben Hang herunterkullern. Ist Interaktion möglich, wenn zwei Objekte sich nicht in einem gemeinsamen Kraftfeld befinden? Wer oder was verursacht bzw. betreibt dann die Interaktion?

HD: Ihre Fragen haben (wieder einmal) viel mit Begriffsdefinition neben Physikverständnis zu tun. Ich will versuchen die zwei Aspekte zu trennen. Interaktion (verursacht durch die Kollision zweier Objekte) hat nicht unbedingt etwas mit Kraftfeldern zu tun. Wenn irgendwo im Universum zwei Kometen aufeinander treffen, dann gibt es eine gewisse (kleine) Wahrscheinlichkeit, dass dies in einem Gebiet geschieht in dem die Wirkung von Kraftfeldern gegen Null geht. Die Interaktion (im Zusammenhang mit einer Kollision) ist einfach die Folge davon, dass sich die Bahnen der beiden an einem gemeinsamen Raumzeitpunkt treffen. Wenn es  Ihnen gelänge, plötzlich alle Kraftfelder im Sonnensystem auf Null zu setzen, gäbe es vermutlich eher mehr als weniger Interaktionen.

Interaktion hat eher etwas mit Energie (anstatt Kraft und Kraftfeld) zu tun. Man könnte sagen, damit eine Interaktion im Sinne von Informationsaustausch (oder Spuren hinterlassen) stattfinden kann, muss ein Minimum an gemeinsamer Energie im Spiel sein. (diese Formulierung setzt ein bestimmtes Verständnis von einer Reihe von Begriffen voraus.) 

BD: Kann in der QT Interaktion stattfinden, ohne dass Kommunikation erfolgt?

HD: Auf der Ebene der Quantenfeldtheorie kann eine Interaktion/Kollision zweier Partikel eine Vielfalt von möglichen Resultaten (=hinterlassene Spuren) mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten haben, einschließlich der, dass keine Spuren hinterlassen werden. Es kann Sie niemand daran hindern in dem Fall, wenn keine Spuren hinterlassen werden, zu sagen „es hat keine Interaktion stattgefunden“.

BD: Meine Vorstellung von Messung ist die folgende: Man legt zwei Dinge, die an sich nichts miteinander zu tun haben (und auch nicht interagieren), neben einander und sagt, ich halte die für gleich oder nicht gleich. Das kann die Länge betreffen, das Gewicht (Erdanziehung), den Geruch, die elektro-magnetische Strahlung, usw. Kann es sein, dass Quantenphysiker anders messen? Werden hier Messgeräte beim Messen verändert?

HD: Die Quantenphysiker messen andere Sachen, z.B. im CERN die  Art von Teilchen die entstehen, wenn zwei Protonen mit hoher Energie aufeinander treffen, oder die Temperatur bei der bestimmte Stoffe supraleitfähig werden. Das unterschiedliche Verständnis, welches die Quantenphysiker und die Vermesser klassischer Größen vom Messen haben, kommt jedoch daher, dass in der Quantenphysik der Messvorgang eine ganz spezielle Rolle spielt, die außerhalb der Gesetzmäßigkeiten der „normalen“ Quantenphysik, und erst recht außerhalb der klassischen Physik liegt. Die „normale“ Quantenphysik beschreibt die Entwicklung von Wahrscheinlichkeiten (genauer Wahrscheinlichkeitsamplituden). Durch den Messvorgang werden aus den Wahrscheinlichkeiten tatsächliche Fakten. Eine zufrieden stellende Erklärung für die dabei auftretenden Phänomene konnte bisher noch nicht gefunden werden (Messproblem der Quantenphysik).

BD: Festzustellen, ob es Partikel einer unbestimmten Art gibt, mit Messen zu bezeichnen, trägt m. E. nicht zu klarer Sprache bei. Beeinflussen unsere Augen die gesehenen Objekte? Wird ein Lichtstrahl, der über Millionen von Spiegeln weitergeleitet wird, nicht verändert? Bleibt er immer gleich hell oder gleich polarisiert?

HD: Unsere Augen beeinflussen Objekte, die ihnen die Information überbringen. Die Photonen, die die Information übermitteln, werden vernichtet. (Eine Messung besteht in der Regel aus einer Kette von Informationsaustauschen.) Ein einzelnes Photon, welches durch Millionen von Spiegeln weitergeleitet wird, verändert sich theoretisch nicht, außer, dass sich seine Bewegungsrichtung ändert. Ein Lichtstrahl besteht aus vielen Photonen. Die Gesamtheit der Photonen kann sich schon eher ändern, z.B., wenn die Spiegel nur zu 99,9 % reflektieren (was in der Quantenwelt normal wäre).

Auch Peter Hiemann (PH) aus Grasse kommentierte das Doppelschlitzpapier. Hans Diels Anworten sind eingefügt:

PH: Wenn ich recht verstehe, gilt nach wie vor für Physiker die Arbeitshypothese, dass alle Naturphänomene letztlich mittels vier absolut geltenden physikalischen Grundkräften und einer Reihe von Naturkonstanten erklärt werden können. Lee Smolin und Robert Laughlin versuchen derzeit, ein paar neue Aspekte in der theoretischen Physik zu berücksichtigen: Smolin den Aspekt der Zeit, Laughlin den Aspekt der Emergenz. Die letzten beiden Physiker weisen also darauf hin, dass beim Verständnis der Prozesse und der Geschichte physikalischer Systeme zusätzlich evolutionäre Prinzipien eine Rolle spielen könnten.

HD: Die Arbeitshypothese, nach der es die vier Grundkräfte gibt, besteht und wird auch von Smolin und Laughlin nicht in Zweifel gezogen, wenn diese über Emergenz, Zeit, und Evolution schreiben. Smolin hat übrigens auch Überlegungen zu evolutionären Entwicklungen bei der Entstehung von Universen  (Plural!) in seinem Buch „The Life of the Cosmos“ beschrieben. Bei den Themen Evolution und Emergenz fühle ich mich zu wenig kompetent, um beurteilen zu können, ob Smolin und Laughlin hier mehr als physikphilosophische Spekulationen publizieren. Ich beobachte nur ganz allgemein, dass je mehr die Leute von einem speziellen Beispiel dazu übergehen allgemeine Prinzipien zu formulieren, umso verschwommener interpretieren sie diese Prinzipien. Dies gilt für renommierte Wissenschaftler (Smolin, Laughlin, Penrose, etc. , weil sie meinen, dass die Leute von ihnen (oder zumindest ihren Büchern) die Entdeckung neuer allgemeiner Prinzipien erwarten)  genauso wie für Amateurphysiker (wie mich, weil sie ihren Kenntnisstand überschätzen. 

PH: Das Paper enthält einen Hinweis, dass auch Sie überlegen, eventuell evolutionäre Aspekte in Ihrer Arbeit zu berücksichtigen: „A functional interpretation (or functional description) specifies the dynamic evolution of the system in terms of state transitions and explicit actions and events.” 

HD: Wenn ich in meinen Papers das Wort „Evolution“ benutze, meine ich dabei immer die allgemeine (zeitliche) Weiterentwicklung eines physikalischen Systems, nicht die spezielle Art von Weiterentwicklung, die man in der Biologie mit dem Begriff „Evolution“ verbindet. Da meine Veröffentlichungen alle in Englisch sind, glaube ich, ist dies korrekt. Nur, wenn man es nach Deutsch übersetzt, wird es zweideutig.

PH: Das Paper könnte viel gewinnen, wenn Sie explizit beschreiben könnten, welche Interaktionen zwischen Elektronen und Photonen in der Zeit entsprechend Ihrer Arbeitshypothese in dem gewählten Experiment Sie sich vorstellen und wie sich die „state of transition“ (der Quantenzustand?) des Gesamtsystems dynamisch verändert.

HD: Dies ist recht ausführlich adressiert in drei meiner Veröffentlichungen, am ausführlichsten in [2].

PH: Ich verfolge übrigens Ihre Arbeit mit großem Interesse, weil ich vermute, dass Ihr physikalischer Ansatz über die Wirkung von vier physikalischen Grundkräften hinausgeht. Ihre Überlegungen interpretiere ich als einen Ansatz, die Entstehung, Erhaltung und Veränderung physikalische Strukturen (auch kosmologischer) nicht (allein) auf der Basis physikalischer Kräfte sondern mittels Interaktionen zwischen physikalischen Elementarteilchen erklären zu können. Meines Erachtens beschreiben die Graphen der Feynmanschen QED keine Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen, sondern Ereignisse des Zusammentreffens einiger Elementarteilchen. Die physikalisch wirksamen Interaktionen scheinen sich auf dem Niveau der Quarks abzuspielen.

HD: Ich bemühe mich sehr, die Erkenntnisse der modernen Physik nicht in Frage zu stellen, sondern konzentriere mich darauf beim Stopfen von vermeintlichen Löchern in der Theorie vielleicht einen Beitrag leisten zu können. Dabei meine ich jedoch (in aller Unbescheidenheit) einige bisher nicht benannte Löcher entdeckt zu haben. Interaktionen auf der Ebene der Quantenfeldtheorie sind tatsächlich ein zentrales Thema meiner Arbeiten. Feynman hat hier die Quantenfeldtheorie enorm vorangebracht. Trotzdem gibt es auch da noch gewisse „Löcher“ (wie Feynman selbst gesteht). „Interaktionen zwischen Elementarteilchen“ sind das gleiche wie  „Zusammentreffen von Elementarteilchen“, wenn man bedenkt, dass ein Teilchen immer auch eine (räumlich ausgedehnte) Welle ist. Die physikalisch wirksamen Interaktionen können sich auf der Ebene der zusammengesetzten Objekte (Atome, Atomkerne, Hadronen (z.B. Protonen)) abspielen oder auch (wenn hinreichend Energie im Spiel ist) auf der Ebene der elementaren Teilchen (z.B. Elektronen, Photonen, Quarks) abspielen.

PH: Übrigens erinnert mich Ihre Situation an die Geschichte der Formulierung biologischer Arbeitshypothesen. Noch im 18. Jahrhundert postulierten Biologen, dass  'vitale Kräfte' für die Entstehung biologischer Strukturen ursächlich seien. Heute werden alle biologischen Phänomene letztlich auf molekularbiologische Interaktionen zurückgeführt. Bei biologischen Interaktionen geht es übrigens nicht um den Austausch von Information. Vielmehr erklären fortlaufende vielfältige Interaktionen zwischen vielfältigen biologisch aktiven Molekülen, die nach dem  Prinzip 'Schlüssel-Schloss' wechselwirken, die Entstehung, Erhaltung und Veränderung biologischer Zustände und Strukturen. In der Geschichte neu auftauchende biologische Strukturen sind das Resultat evolutionär programmatisch wirksamer Veränderungen in einem Gesamtsystem (einer Art).

HD: Nach meinem Verständnis von „Information“, das sicher umstritten ist, findet bei einer Interaktion immer auch ein Austausch von Information statt. Eine weniger kontroverse Formulierung ist: Eine Interaktion hinterlässt (fast) immer Spuren bei mindestens einem der Beteiligten (siehe oben).

Referenzen

1.  Diel, H.D.: An improved "interference collapse rule" of quantum mechanics. http://arXiv 1405:6099v2.
2, Diel, H.D.: A Lagrangian-driven Cellular Automaton supporting Quantum Field Theory. http://arxiv.org/abs/1507.08277.

1 Kommentar:

  1. Diese Diskussion ging noch eine Weile weiter. Sie führte zu keiner Einigung, ob die Biologie oder die Physik die nützlicheren Aussagen trifft.

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