Dienstag, 22. Februar 2011

Wir lernen und haben Mitgefühl dank Spiegelneuronen

Zurück zu einem biologisch-philosophischen Thema. Es klingt fast wie ein Wunder. Der Mensch ist mit einer Hardware-Funktion (genauer gesagt: Feuchtware-Funktion) ausgestattet, die es ihm leicht macht zu lernen und sich zum sozialen Wesen zu entwickeln. Die Rede ist von Spiegelneuronen. Nicht nur Thomas Metzinger, den ich in einem früheren Eintrag ausführlich zitierte, beschäftigt sich damit in seinem Buch ‚Der Ego-Tunnel‘. Auch in dem bekannten Buch ‚Das kooperative Gen‘ des Freiburger Mediziners und Neurobiologen Joachim Bauer tauchen mehrmals Hinweise darauf auf.

Es waren Gehirnforscher aus Parma um Giacomo Rizzolatti, die Anfang der 1990er Jahre festgestellt hatten, dass Affen über besondere Nervenzellen verfügen, die bereits bei der reinen Beobachtung einer Tätigkeit so feuern, als ob sie diese Aktion selber ausführen würden. Anders ausgedrückt, während ein Affe sieht, wie ein anderer Affe eine Erdnuss nimmt und verzehrt, spielt er diese Situation nach, ohne selbst eine Bewegung auszuführen. Er vergewissert sich, und zwar reflexartig, dass er in der Lage ist, die Handlung seines Artgenossen nachzuvollziehen. Er lernt die Logik einer Handlung, also das interne Programm, bevor er die Aktion körperlich durchführt. Die an diesem Vorgang beteiligten Nervenzellen werden als Spiegelneurone bezeichnet.

Inzwischen hat man dasselbe Verhalten auch bei Menschen nachgewiesen. Verbunden damit ist ein Grundvokabular (auch Motorvokabular genannt), das bei Primaten und Menschen bei allem, was sie wahrnehmen, fragen lässt, was man damit tun kann. Man fragt sich: Nimmt man es in den Mund, ist es zum Draufsitzen oder zum Werfen, usw.? Bilder, Geräusche, Gesten und dergleichen werden also sofort mit Semantik versehen, nicht erst Stunden oder Wochen später. Ein ganzes Begriffsnetz oder eine (multimediale) Objektstruktur wird im Gedächtnis abgelegt.

Während wir andere Menschen beobachten, sehen wir außerdem, dass sie Ziele verfolgen. Unwillkürlich fragen wir uns, welches unser Ziel gewesen wäre, hätten wir dasselbe getan. Wir erleben also andere Menschen und uns selbst von Anfang an als Wesen, die Entscheidungen treffen. Ob diese Entscheidungen von einem freien Willen getragen werden oder einem neuronalen Zwang unterliegen, ist ein Thema, das ich jetzt nicht vertiefen möchte.

Es gibt Spiegelneurone nicht nur für Gesten oder Geräusche, sondern auch für Emotionen. Die Angst, die Freude, der Schmerz und die Wut, die ein anderer Mensch erlebt, beobachten wir nicht nur, sondern erleben sie selber mit. Was die Spiegelneuronen genau machen, wissen wir noch nicht. Ihre Funktion erfüllen sie größtenteils im Unterbewussten, d.h. da wo unsere Gefühle beheimatet sind. Wir können sie also kaum steuern, also nicht ein- oder ausschalten. Sie sind der Grund, warum Gähnen und Lachen so ansteckend wirken. Wir empfinden Mitleid mit leidenden Tieren und Menschen, egal ob wir dies wollen oder nicht.

Die Schlussfolgerungen, die Bauer, Metzinger und andere ziehen sind verblüffend. Hier nur eine Auswahl:
  • Es sieht so aus, als ob der Mensch sich deshalb in geistiger Hinsicht so stark entwickelt hat, weil er eine besondere Befähigung zum Lernen besitzt. Aus Sicht der Rechnerarchitektur hat er eine Hardware- oder Mikrocode-Assist-Funktion bekommen.
  • Wir lernen am besten, indem wir nachahmen. Dazu brauchen wir zwischenmenschliche Beziehungen, zum Beispiel Eltern, Lehrer und Vorbilder. Alleine zu lernen ist viel schwieriger.
  • Der Mensch ist von Natur aus ein homo socialis, ein Wesen, das eine Gemeinschaft braucht und optimal ausnutzt.
  • Die menschliche Sprache hat vielleicht sogar noch tiefere Wurzeln, als dies Charles Darwin vermutete. Der meinte es sei eine Variante des Vogelgesangs, die hauptsächlich dazu dient, Fortpflanzungspartner anzulocken. Wenn wir Geräusche, die andere produzieren, in unserem Gehirn genau nachempfinden, dann ist es nur ein kleiner Schritt, sie auch nachzumachen.
Die Bedeutung, die wir mit Wörtern wie ‚erfassen‘ und ‚begreifen‘ heute verbinden, scheint anzudeuten, wie der Weg von dem Beobachteten in unser geistiges Modell, also in unser Bewusstsein, verlief. Wir besitzen eine besondere motorische Intelligenz, meint Rizzolatti. Wir können deshalb die Bewegungen eines Hundes besser begreifen als dessen Bellen.

Joachim Bauer geht es primär darum zu zeigen, dass der Mensch nicht von Natur aus der Egoist ist, zu dem Richard Dawkins ihn machen wollte. Nach Bauers Ansicht verfügt der Mensch über eine eingebaute Empathiereaktion und ein Gefühl für Fairness. Der Mechanismus dafür sind die Spiegelneuronen. Sie sind das neuronale Korrelat für unsere sozialen Gefühle.

Hingewiesen wurde ich auf das frühere Buch Warum ich fühle, was Du fühlst von Joachim Bauer, das ich nicht selbst gelesen habe. Darin wird ausführlich das Thema Spiegelneurone behandelt. Er vertritt dort die Meinung, dass Spiegelneurone eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung der menschlichen Sprache waren. „Das Bemühen um Passung, Spiegelung und Resonanz durchzieht die gesamte Biologie,“ meint er. „Es beginnt bei der Erbsubstanz selbst: Die DNA aller Lebewesen vom Bakterium aufwärts ist eine paarige, auf Spiegelung und Passung angelegte Substanz.“

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