Dienstag, 8. März 2011

Über die Powerpoint-Epidemie

Am 6.3.2011 schrieb mir mein geschätzter Kollege und Leser Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

„Den Quatsch mit dem „Powerpointing“ sollten Sie mal thematisieren. Unglaublich, was da einem zugemutet wird. Bloß eines: Powerpoint macht uns kaputt. Anbei ein Beitrag  „Denken mit Powerpoint“, den ich heute in der Früh im SWR 2 hörte. Der Autor spricht mir aus der Seele. Der Aufsatz von Burkhard Spinnen sollte mal diskutiert werden, damit die Leute sich zügeln und mehr auch sich selbst darstellen.“
Gerne komme ich der Bitte von Herrn Wedekind nach, vermute aber, dass meine Schlussfolgerungen nicht ganz seinen Erwartungen entsprechen werden. Zunächst schicke ich vorweg, dass es bei dieser Diskussion, die im Englischen als ‚Powerpoint bashing‘ bezeichnet wird, nicht nur um das Produkt Powerpoint (PPT) der Firma Microsoft geht. Es gibt auch einige Konkurrenzprodukte, deren Marktanteil aber verschwindend gering ist. Beispiele sind Keynote von Apple und Impress von Oracle (früher Open Office). Auf die Unterschiede einzugehen lohnt sich nicht.
Ich teile diesen Beitrag in drei Abschnitte ein (a) die Minuspunkte (b) die Pluspunkte und (c) meine Ratschläge für den vernünftigen Umgang.

(a)  Die Minuspunkte

Hier mache ich es mir sehr einfach und folge haargenau dem oben erwähnten Vortrag des Germanisten und Soziologen Spinnen. Er thematisiert drei Hauptkritikpunkte, nämlich PPT formatiere das Denken und Reden, verführe zur Kopie und treibe den Menschen aus seinem Sprechen. Obwohl ich in allen drei Punkten einen Kern von Wahrheit erkennen kann, wird diese Wahrheit dazu benutzt, um die Leser oder Hörer in die Irre zu führen. Gerade vor solchen Predigern muss man besonders auf der Hut sein.

Es sollte niemand behaupten, dass unstrukturiertes Denken (das meint er wohl auch mit ‚unformatiert‘) besser ist als strukturiertes. Diese Diskussion führte die Software Community vor 30 Jahren unter dem Schlagwort ‚Strukturiertes Programmieren‘. Auch damals musste man einigen Kollegen, die sich für besonders genial hielten, klarmachen, dass die Ausdruckskraft für Ideen nicht eingeschränkt würde, wenn man Sprünge möglichst vermeidet. Wir empfehlen unsern Schülern eine Auseinandersetzung mit abendländischer Logik, oder bringen ihnen das Verfassen von Aufsätzen bei, damit ihre Gedanken nicht wie wild umher schweifen, und sie sich auf das konzentrieren, was andere Menschen aufnehmen können. Auch gibt es keine Kommunikation ohne Formate. Wenn uns Ausdrucksmittel spielend angeboten werden, die uns sonst viel Mühe bereiten würden, kann das die Kommunikation nur erleichtern.

Natürlich ermöglichen Computer das Erstellen von Plagiaten. In einem früheren Blog-Eintrag bezog ich mich auf ein sehr aktuelles Beispiel. Die Nutzung von Computern zu verbieten, damit keine Plagiate mehr vorkommen, ist ein Vorschlag, den man nicht ernst nehmen kann. Dann müssten wir auch offene Warenauslagen abschaffen, damit Ladendiebstahl erschwert wird, oder Autos verbieten, damit keine Autounfälle mehr vorkommen. Die Lehrer unserer Kinder sind dazu verpflichtet darauf hinzuweisen, dass leichte Verfügbarkeit nicht automatisch freier Besitz bedeutet. Wenn sie ‚Copy & Paste‘ dulden, sind sie keine guten Erzieher.

Dass Menschen sprechen können ist eine tolle Leistung der Evolution. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass wir uns das laufend gegenseitig noch beweisen müssen. Ich habe große Reden in Erinnerung, ohne jedes Hilfsmittel, bei denen jedes Wort saß und Zuhören ein Genuss war. Es waren dies meist Geisteswissen­schaftler oder Politiker. Trotzdem ist Reden nicht alles. Es gibt sogar, je nach Situation, bessere Kommunikationsmittel. Dass durch die Benutzung von Hilfsmitteln die Unmittelbarkeit leidet, mag ja sein. Aber es gibt auch Vorteile, die nicht aufzuwiegen sind.

(b)  Die Pluspunkte

Pädagogen haben längst bewiesen, dass der  Mensch am besten lernt, wenn er das, was er lernen will, auf mehr als einem Sinnesorgan bzw. in mehr als einer Codierungsform zur Kenntnis nimmt. Insofern tendierten gute Lehrer schon immer dazu, Teile des Gesprochenen an die Tafel zu schreiben. Das gilt zumindest für Überschriften oder besonders schwierige Vokabeln. Die Projektion per PPT verbessert die Arbeit an der Tafel, in dem man vorher in Ruhe die Dinge vorbereiten kann, und auch nicht den Rücken zum Zuhörer wenden muss. Vom Tafellöschen ganz zu schweigen. An einige Mathematik-Vorlesungen erinnere ich mich heute noch, in denen der Professor uns Studenten 45 Minuten lang den Rücken zukehrte, während er die Tafeln (Plural!) von oben bis unten mit Formeln vollschrieb.

Noch in den 1970er Jahren wurden Vorträge, die ich vor größeren Zuhörergruppen hielt, von einem firmenexternen Studio gezeichnet und in die Form von Diabildern gebracht. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem dafür Kosten von etwa 10.000 DM anfielen. Das ist vorbei. Die letzten 10-20 Vorträge habe ich alle selbst künstlerisch und in Farbe gestaltet. Ich habe damit andern Menschen ihre Arbeit weggenommen. Die betreffenden Studios machen heute vermutlich etwas noch Sinnvolleres, noch Interessanteres.

Vorträge, die man in PPT hat, sind auf der ganzen Welt verwendbar. Lebhaft erinnere ich mich an einen amerikanischen Kollegen, der zu einem Vortrag nach Paderborn kam und geradezu erlöst war, als er feststellte, dass er auch in der deutschen Provinz seine vorbereiteten Folien benutzen konnte. ‚Am so glad, Powerpoint works in Germany‘ diesen Seufzer habe ich später immer wieder zitiert, wenn jemand gegen PPT moserte. Man kann einen Vortrag leicht über das Netz an die Zuhörer verteilen. Einige meiner Vorträge von vor Jahren sind heute noch auf meiner Homepage zugreifbar. Die teuren Dias habe ich zwar auch noch, konnte sie aber kein zweites Mal verwenden. Ich habe nichts dagegen, dass Dinge, die ich veröffentlichen möchte, rasch und kostengünstig verbreitet werden. Genau deshalb betreibe ich auch diesen Blog.

(c) Meine Ratschläge für den vernünftigen Umgang

Es ist eine beliebte Alibi-Handlung den Esel zu prügeln, wenn man den Besitzer meint, oder ein Werkzeug zu kritisieren, wenn das Werkstück nicht gelungen ist. Warum soll ein Text qualitativ besser sein, wenn er statt mit Word mit Open Office erstellt wurde? Aber PPT sei an allen Fehlern der Vortragenden schuld. Dabei gibt es Regeln, an die man sich halten sollte, egal welches Präsentationsprogramm benutzt wird. Hier eine Auswahl.

Ein gutes Präsentationsprogramm wehrt sich, sobald man mehr als sieben Zeilen pro Folie unterbringen möchte. Wer es trotzdem tut, wurde zumindest gewarnt. Reine Textfolien sind ein Schmarren, es sei denn man kann selbst die Sprache, in der der Vortrag gehalten wird, nicht gut sprechen, oder man weiß, dass es Zuhörer gibt, die das gesprochene Wort nur schwer verstehen. Manche Japaner oder Chinesen, die zu Fachtagungen kommen, fallen in diese Kategorie. Folien soll man nicht ablesen. Man spricht zu ihnen. Die Zahl der Folien sollte weder den Zuhörer noch den Vortragenden überfordern. Das gilt auch für Schnickschnacks, wie dynamischer Seitenaufbau oder Animationen. Vor- und Rückwärtsspringen ist tödlich. Lange Zeit hatte ich immer eine Version meines Vortrags auf Klarsichtfolien dabei, falls mal der Rechner oder der Beamer ausfallen sollte. Allmählich kann man darauf verzichten, wie auf den Ersatzreifen im Auto.

Am Schluss sei noch bemerkt: Einen technischen Vortrag ohne Tabellen oder Grafiken kann ich mir kaum vorstellen. Im Gegensatz zu Geisteswissenschaftlern denken und kommunizieren Naturwissenschaftler, Ärzte und Ingenieure nämlich vorwiegend mittels Messwerten, Zeichnungen und Bildern. Schon als Primaner stritt ich mich mit meinem Deutschlehrer, als er mir klarmachen wollte, dass ich ohne Worte und Sätze nicht denken könnte. Ich kann sehr wohl in Bildern und Geräuschen denken, entgegnete ich damals. Das tun doch Architekten, Maler und Musiker auch. Wir einigten uns, dass es sich dabei um prä-symbolisches Denken handle. Später lernte ich, dass man rein grafische Notationen oder Formeln auch als Sprache bezeichnen darf. Informatiker reden schon immer von Programmiersprachen. Germanisten und Soziologen mag dies nicht in den Kram passen – da haben sie halt Pech.

1 Kommentar:

  1. Hartmut Wedekind bittet mich den folgenden Kommentar einzustellen:

    "Rhetorik" ist an einem Vortrag am leichtesten zu bewerten. Deshalb stürzen sich auch die meisten auf die Darstellung. Wissenschaftlich am interessantesten ist aber die Topik, die Themenstellung. Über die entscheidet aber ganz wesentlich auch das Programmkomitee. Dass aber Informatik in eine Performance-Debatte entartet, dafür kann eine Komitee auch nichts. Es geht letzten Endes um einen Widerstreit zwischen den Bedürfnissen der Rede (logisch) und der Präsentation (Darstellung, ich will nicht böse sagen "show"). Aristoteles hat das auch schon gewusst. Er unterschied die drei Schichten einer Rede als einen "olympischer Dreikampf"

    - Logik der Rede
    - Topik (Themenstellung) der Rede
    - Rhetorik (Präsentation ) der Rede.

    Wir versacken beim "powerpointing" bloß im Sumpf einer eitlen Rhetorik. Das ist der Punkt. Großrhetoren, mit einer schmalen Topik und dürftigen Logik und reichhaltiger Rhetorik sind im Vormarsch und bestimmen das Geschehen.

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