Samstag, 13. August 2011

Zu den Krawallen in Großbritannien

Die Bilder, die dieser Tage aus London und andern britischen Städten in unsere Wohnzimmer flackern, machen einen zunächst sprachlos. Unruhen gibt es im Moment auch in Madrid oder in Hama in Syrien. Greift das jetzt immer weiter um sich, oder geht es hier um etwas anderes, so fragt man sich. Jedenfalls ist die Brutalität schockierend, mit der in englischen Städten ganze Straßenzeilen in Flammen aufgehen oder mit der Läden geplündert werden. Dabei müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, dass wir uns im Mutterland der Demokratie befinden, sowie in einem Land, in dem gute Umgangsformen hoch geschätzt sind.

Eigentlich wissen wir so gut wie nichts darüber, was die vorwiegend jungen Männer motiviert. Selbst die britischen Medien und die Politiker des Landes scheinen in dieser Hinsicht vor einem Rätsel zu stehen. Wir könnten daher eigentlich der unangenehmen Frage, was sich da abspielt, aus dem Wege gehen und uns weiter um die Eurokrise, Stuttgart 21 und die Fußball-Bundesliga kümmern.

Da ich als Großvater damit rechnen muss, dass eines meiner Enkelkinder fragen könnte, was ich von der Sache halte, lege ich mir im Folgenden ein paar Gedanken zurecht. Beginnen möchte ich mit der Frage nach der Ursache, nach den Gründen. Warum tun diese Leute so etwas? Als Antwort möchte ich einen meiner amerikanischen Freunde zitieren, der noch viel weiter als ich vom Ort des Geschehen entfernt ist. Er hat in seinem Blog drei klare Gründe identifiziert:
  • Kindererziehung (poor parenting)
  • Verkommene Gesellschaft (misbegotten society) und
  • Zu viele Leute für zu wenig Jobs
Mit dem Grund Kindererziehung will er sagen, dass hier ein Mangel an Verant­wortungs­bewusstsein der Erwachsenen gegenüber den Heranwachsenden zum Ausdruck kommt. In so genannten normalen Familien kümmern sich beide Elternteile um die charakterliche und berufliche Bildung ihres Nachwuchses. Immer mehr Eltern drücken sich und überlassen dem Staat oder der Straße diese Verantwortung. Verallgemeinern lässt sich dies von der Familie auf die Gesellschaft. Sie lässt heute Dinge zu, die früher undenkbar waren. Vor allem treibt sie die Wünsche in die Höhe. Der Einzelne möchte all das auch haben, was er im Fernsehen oder in Schaufenster­auslagen sieht. Zum letzten Punkt ist zu sagen, dass mein Freund als Weltproblem Nummer Eins schon immer die Überbevölkerung ansah. Daraus resultieren nach seiner Meinung Hungersnöte und Verteilungskriege um Ressourcen (Öl, Wasser, Ackerbaufläche).

Ich habe meinem Freund geschrieben, dass in allen drei Punkten ein Stück Wahrheit liegt, aber eben nur ein Stück.

Besonders betroffen machten mich nämlich die Berichte aus England, die davon sprachen, dass einer der gefassten Plünderer als Lehrer tätig sein soll. Bei ihm von mangelnder Bildung zu sprechen, ist seltsam. Auch ging es bei ihm sicher nicht nur um Mundraub, also die kostenlose Beschaffung von Lebensmitteln durch Menschen, die nahe am Verhungern sind. Es war offensichtlich auch nicht Sozialneid, der ihn antrieb, sondern die Neigung sich wirtschaftliche Güter unberechtigt anzueignen, einfach weil sie ihn reizten. Das gleiche gilt von dem 13-jährigen Jungen, der mit einem halben Dutzend Mobiltelefonen erwischt wurde. Hier gleich von organisierter Kriminalität zu reden, geht vermutlich ebenfalls zu weit. Sind erst einmal die Dämme gebrochen, bricht sich bei vielen Menschen ein raubtierhaftes Verhalten Bahn. Es kommt dann der von John Locke beschworene Wolf an die Oberfläche (lat. homo homini lupus). Man kann darin auch die Fratze des Bösen erkennen.

Jetzt möchte ich mich zwei weiteren Fragen zuwenden, nämlich wie kann man die Krawalle stoppen und wie kann man sie in Zukunft verhindern. Sie hängen beide von der Frage des Warum ab, bei der zweiten Frage stärker als bei der ersten.

Wie bei Waldbränden so besteht bei Krawallen dieser Art die nächstliegende Aufgabe darin, das Feuer einzudämmen und schließlich zu löschen. Selbst im Land der unbewaffneten Bobbies weiß man keine andere Lösung als den zahlenmäßig massiven Einsatz polizeilicher Kräfte. Von einer Aufrüstung der Polizei mit Hilfe von Wasserwerfern und Gummigeschossen wurde bisher nur gesprochen. Lokal, regional und national bekannte Politiker zeigen Flagge, indem sie Urlaubsreisen abrechen und vor Ort oder in den Medien argumentativ eingreifen. Im vorliegenden Falle veranstaltete das Parlament eine Sondersitzung, vermutlich mit dem Ziel den Positionen und Maßnahmen der Regierung Nachdruck zu verleihen. Insgesamt wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Gesellschaft als Ganzes nicht bereit ist, diese Art von Grenzüberschreitungen zu tolerieren. Einen Fehler sollte man hier nicht machen, nämlich die Prozesse gegen die Straftäter auf Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Das zumindest scheint die britische Justiz zu beherzigen. Ihre Instanzen machen zurzeit Überstunden, und sind bemüht die über 1500 Verhafteten schnellstmöglich einem Richter vorzuführen.

Bei der Frage nach der Vorbeugung ist guter Rat teuer. Hätte man in der Vergan­genheit eine Antwort gehabt, wären uns die jetzigen Ausbrüche von Gewalt erspart geblieben. Trotzdem ist es wichtig weiterzusuchen. In manchen der ersten Analysen kommt das Wort von der Perspektivlosigkeit der jungen Generation vor. Ob dieser Ansatz zu einer Lösung führt, ist schwer zu beurteilen. Uns auf schicksalhafte Weise mit der Situation abfinden, und nur zu sagen, so ist es halt, sollten wir jedoch auch nicht. 

Dass plötzlich die Video-Überwachung ganzer städtischer Problemzonen in neuem Licht erscheint, ist mehr als ein Nebeneffekt. Erhält man doch auf diese Weise Belastungsmaterial, das wesentlich konkreter ist, als die Beobachtungen von menschlichen Zeugen des nächtlichen Geschehens.

Wie nicht anders zu erwarten, wird jetzt auch in Großbritannien die Frage diskutiert, welche Rolle das Internet gespielt haben könnte. Offensichtlich spielten Facebook und Twitter keine auffallende Rolle. Der Verdacht fällt dieses Mal auf Blackberry Messenger. Diese Geräte sind dafür bekannt, dass es Außenstehenden, also auch der Polizei, besonders schwer gemacht wird, den Verkehr zwischen den Teilnehmern insgeheim abzuhören. Umgehend wird von der Regierung vorgeschlagen, die Kontrollen im Netz zu verschärfen. Notfalls könnte man ja die chinesische Regierung um Hilfe bitten und sich deren Netzfilter-Technologie zunutze machen, meinte ein Radiosender. Selbst in dieser Situation scheinen die Briten ihren Sinn für Humor noch nicht ganz verloren zu haben.

Die Frage, ob dergleichen auch bei uns passieren könnte, liegt zwar nahe. Selbst den Versuch einer Antwort verkneife ich mir lieber.

PS.: As a service to my non-German speaking readers an English version of this entry is available online.

2 Kommentare:

  1. Amerika erlebte auch riesige Krawallen in den sechiger Jahren.

    If one stands back from the causes of these riots, I see two explanation types -
    1. Opportunistic human nature
    2. Breach of social contract

    In America the problem was clearly #2 with a driving racial component.

    I have thought of the current danger of such riots here in America. Faith in our American institutions and way of life is at historic lows among Americans. Only 11% of the population have a positive opinion of the US Congress. I contend that this is a PROXY for the general loss of faith in America. And the future portends more justification for that loss of faith.

    I believe that something similar is happening in England.

    Calvin Arnason

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  2. Yesterday I went to a family BBQ at the home of a upper middle class family with solid roots in the community going back 4 generations - with close extended family (perhaps 150 who meet each year for 2 days together next month). The father of the immediate family from yesterday (3 generations) told me that he was purchasing food storage and water purification capability and putting significant amounts of his investments into cash (which he is storing someplace other than in a bank). This is just a single data point - but a telling one I believe. He and his whole family are politically conservative - not of the crazy type - more of the "preservation and care" type.

    Calvin Arnason

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