Mittwoch, 5. November 2014

Ach, gäbe es doch einen Nobelpreis für Informatik!

Jedes Jahr gegen Ende Oktober spitzt die Welt die Ohren in Richtung Stockholm. Dort werden seit 1901 die Nobelpreise für Chemie, Physik, Medizin und Literatur angekündigt, die am 10. Dezember vom schwedischen König verliehen werden. Außerdem gibt es einen Friedens- und einen Wirtschafts-Nobelpreis. Nach der ursprünglichen Absicht des Stifters wird der  Preis denen zugeteilt, die ‚im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben‘. Die ersten vier genannten Preise werden von den Experten des betreffenden Faches als die Krönung ihres Lebenswerks aufgefasst. 
Vergessene Fächer und ihre Ersatzlösung
In der Ankündigung eines Vortrags in Jena (am 25.11.2014) nimmt der Mathematiker und Informatiker Rainer Janßen auf den Nobelpreis Bezug. Janßen schreibt: 
Würde Nobel heute andere Preise vergeben?  … 1901 war Mathematik vielleicht eher Hilfswissenschaft und Informatik nicht existent. Heute bestimmen diese beiden Disziplinen aber in vielerlei Hinsicht unsere Welt, …Oder wird uns diese Welt wie SAP auch nur von Physikern gebracht, weil Mathematik und Informatik als Wissenschaft  ̶  und die Menschen, die von ihnen ausgebildet werden, diese Verantwortung und Chance immer noch nicht begreifen?

Wie wir alle wissen, haben Mathematik und Informatik Ersatzlösungen gefunden. Sie heißen Fields-Medaille und Turing-Preis. Kein Ersatz ragt, was das Ansehen betrifft, an das Original heran. Auch sind die Auswahlkriterien nicht vergleichbar. Der Turing-Preis wird seit 1966 jährlich von ACM verliehen. Von seinen bisherigen Trägern sind die Mehrzahl US-Amerikaner. Es gibt Dänen (Naur), Engländer (Wilkes, Wilkinson, Hoare, Codd, Milner, Valiant), Griechen (Sifakis), Holländer (Dijkstra), Israelis (Rabin, Pnueli, Shamir), Kanadier (Iverson, Kahan), Norweger (Dahl, Nygaard), Schweizer (Wirth) und Venezueler (Blum). Deutsche, Franzosen, Italiener, Japaner und Spanier gingen bisher leer aus. Es liegt nahe, dies darauf zurückzuführen, dass anglophone Kandidaten bevorzugt werden. Leser, denen diese Begründung zu oberflächlich erscheint, dürfen andere Erklärungen vorschlagen. Am besten wenden Sie sich direkt mit Kandidatenvorschlägen ans Auswahlkomitee.
Es ist ein ganz anderes Phänomen, dass manche deutsche Wissenschaftler im eigenen Land nicht anerkannt wurden, bevor nicht ein Amerikaner sie lobte. Ein bekanntes Beispiel aus unserem Fach ist Carl Adam Petri mit den nach ihm benannten Petri-Netzen. Ohne Anatol Holt gäbe es heute kein einziges Lehrbuch und keinen einzigen Lehrstuhl, der dieser Methode gewidmet ist. 

Auf zwei Dinge möchte ich hinweisen, die uns in Deutschland hoch angerechnet werden. Das erste betrifft die Turing-Preisträger. Nachdem seit einiger Zeit bei einem jährlichen Treffen in Lindau bei Nobelpreisträgern an ihre Vorbildfunktion für Berufsanfänger appelliert wird, tut Klaus Tschira dies bei den Trägern der Fields-Medaille und des Turing-Preises. Er sponsert ein entsprechendes Treffen in Heidelberg, das Heidelberg Laureate Forum. Die Idee wurde unter anderem vom Turing-Preisträger und vormaligen ACM-Präsidenten Vinton Cerf sehr gelobt. 

The Heidelberg Laureate Forum is one of the best new activities in which ACM is engaged and I predict it will become a strong and new tradition among the many ways in which ACM contributes to and reinforces the importance of computing in our society.

Neben Cerf waren Leslie Lamport, John Hopcroft und Ian Sutherland bei der diesjährigen Veranstaltung anwesend. Je 100 junge Informatiker und Mathematiker waren als Zuhörer eingeladen. Die zweite Initiative, mit der Deutschland hervorsticht, ist Schloss Dagstuhl. Ich werde vielleicht später einmal ausführlicher darauf eingehen. In beiden Fällen fungieren wir Deutsche als großzügige Förderer der Wissenschaft. 

Wege zum wissenschaftlichen Ruhm

Wie im Sport so kann man in der Wissenschaft nicht nur an die Weltrekorde denken. Es gibt auch Landesrekorde und Landesmeister, sowie den Breitensport. In der Wissenschaft (und im Sport) wird diskutiert, was wohl der beste Weg sei, um sein Leistungsniveau zu verbessern. Da nicht alle Talente voll ausgereift vom Himmel fallen, wird immer wieder empfohlen, nach oben zu schielen. Um sich selbst zu verbessern, hilft es nämlich, wenn man sich an gleichwertigen oder besseren Leistungen misst. 
Während der 15 Jahre als Hauptherausgeber einer deutschsprachigen Informatik-Fachzeitschrift war es so gut wie unmöglich, namhafte Autoren dazuzugewinnen in Deutsch zu veröffentlichen. Seit dieselbe Zeitschrift bevorzugt englischsprachige Beiträge bringt, fällt dieses Argument weg. Dass Beiträge deutscher Autoren jetzt in Englisch verfasst sind, macht die Zeitschrift nicht automatisch besser und attraktiver. Es kommt darauf an, dass man Probleme aufgreift und an Lösungen arbeitet, die für alle heute lebenden Menschen wichtig und sinnvoll sind.  
So wie es vor 80 Jahren ein Fehler war, eine ‚Deutsche Physik` zu fordern, so ist es heute sinnlos und schädlich von einer ‚deutschen Informatik‘ zu reden. Es gibt in vielen Ländern Fachleute, die hohe Maßstäbe an sich stellen, und ein hohes Leistungsniveau erreicht haben. Es gibt gute Informatiker auch anderswo, vielleicht sogar mehr als in Deutschland. Außerdem muss man zu den Tagungen gehen, wo Leute aus andern Ländern hinkommen. In einer deutschen Zeitschrift in Englisch zu veröffentlichen, reicht nicht. Man muss Teil der ‚Community‘ sein. Dafür muss man geben und nehmen. 

Wege zum wirtschaftlichen Erfolg
Seit Jahrzehnten ist es klar, dass auf unserem Gebiet Firmen. die nur in einem Lande tätig sind, nicht überleben können. Die Zuses, Bulls und ICLs gehören der Vergangenheit an. Man muss ins Silicon Valley. Dort entscheidet sich, was gut ist und wer Geld bekommt. Schon Andreas von Bechtolsheim wusste dies, als er 1982 die Firma Sun Microsystems gründete. Aber auch Stephan Schambach und Hasso Plattner zogen die richtige Konsequenz, als sie ihren Lebensschwerpunkt zeitweise ins Silicon Valley verlegten. 

Mein Blog-Eintrag über das Buch von Christoph Keese (vor zwei Wochen) hat mich darin bestätigt, dass man nicht nur der Wissenschaft die Auflage machen muss internationale Maßstäbe anzulegen, sondern auch der Wirtschaft. Die Globalisierung hat viele Facetten. Man stößt immer wieder auf Neues. Wer als deutscher Unternehmer im Silicon Valley überzeugt, hat mehr für sein Land geleistet, als wenn er im Bayrischen Wald geblieben wäre. Er wird dafür mit weltweitem Geschäftserfolg belohnt. Der Bayrische Wald und Deutschland profitieren davon, vielleicht sogar mehr, als wenn der Betreffende zuhause geblieben wäre

Beruflicher Qualifizierungsdruck

Seit über 30 Jahren werden in Deutschland Informatiker ausgebildet. Im letzten Jahr schlossen etwa 5.000 Informatikerinnen und Informatiker ihr Studium an Universitäten und Hochschulen ab. Vielleicht gibt es an die 100.000 Informatiker in Deutschland. Eigentlich müsste es an der Zeit sein, dass sie eine Spur hinterlassen. Wo sind sie geblieben? So fragte ich neulich einige Kollegen. Wenn ich an die Plattners (Nachrichtentechniker), Kagermanns (Physiker) und Janßens (Mathematiker) denke, bin ich froh, dass wir noch Quereinsteiger haben. Christof Leng, ein deutscher Informatiker aus Dublin und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Informatik (GI), bemerkte dazu: 

Ich bin durchaus überzeugt, dass die Informatikerinnen und Informatiker 'made in Germany' einiges bewegt haben, aber vieles versickert in den oft behäbigen Großkonzernen oder verbirgt sich bei den vielen 'hidden Champions'. Das 'next big thing' sucht man hingegen in Deutschland vergebens. Das liegt aber weniger an der Informatik als an der Geschäftskultur und dem fehlenden Risikokapital. Wie heißt es so schön? Wer drei Mal eine Firma gegründet, aufgebaut und abgewickelt hat, gilt in den USA als Macher und in Deutschland als Pleitier. Diese Denkweise müssen wir nicht zuletzt auch in der akademischen Welt bekämpfen. Die inkrementellen Drittmittelmonster sind da nicht gerade hilfreich.
Dem möchte ich hinzufügen: Es wäre das schlimmste, was passieren könnte, wenn Steuerzahler dazu verdonnert würden, Wagniskapitalgeber zu spielen. Ich habe nämlich wenig Vertrauen darin, dass deutsche Beamte Firmengründer auch nur annähernd so scharf unter die Lupe nehmen, wie dies private Geldgeber tun. Wer Näheres wissen will, der lese meinen zuletzt zitierten Blog-Eintrag. 

Ganz bescheidener Vorschlag

Unter dem Namen Innovations- und Entrepreneurpreis gibt die GI jährlich 5.000 Euro an Mitglieder aus, die sich an praktische Aufgaben heranwagen. Statt dieses Geld als reine Belohnung auszuschütten, rege ich an, es an Informatikerinnen oder Informatiker zu vergeben, die bereit sind, mit ihrer Geschäftsidee für ein halbes Jahr ins Silicon Valley zu ziehen. Zumindest die Reisekosten wären abgedeckt.

3 Kommentare:

  1. Gestern schrieb Christof Leng aus Dublin:

    Ich war selbst im September beim Heidelberg Laureate Forum und bin voll und ganz begeistert. Auf der einen Seite hatte ich Gelegenheit ausführlich mit Leuten wie Vint Cerf und Klaus Tschira zu sprechen, und zum anderen habe ich eine ganze Reihe von engagierten und sympathischen Nachwuchswissenschaftlern kennengelernt. Auch das Vortragsprogramm war auf höchstem Niveau. Diese Veranstaltung kann ich jedem nur wärmstens empfehlen. Ich hoffe, sie kann sich dauerhaft etablieren.

    Ihre Idee mit dem Innovations- und Entrepreneurpreis finde ich auch sehr gut, glaube aber, dass es mit den Reisekosten allein nicht getan ist. Man braucht ein schlagkräftiges Netzwerk vor Ort, um schnell Fuß zu fassen. Vielleicht könnte man ja etwas mit dem ICSI [dem International Computer Science Institut, einer vom deutschen Steuerzahler finanzierten Einrichtung in Berkeley] zusammen arrangieren. Geeignete Ansprechpartner hierzu wären vermutlich Wolfgang Wahlster [Uni Saarbrücken] und Oliver Günther [Uni Potsdam].

    Einer meiner DAAD-Stipendiumskollegen am ICSI hat es übrigens genau so gemacht: Nach der Zeit in Berkeley war er erst bei einem Konzern in Deutschland angestellt, was ihm aber schnell langweilig wurde. Dann hat er mit einem Kollegen aus Berkeley ein Startup konzipiert und ist zumindest zeitweise zurück in die Bay Area gegangen. Sie haben es tatsächlich geschafft, den Grand Prize der UC Berkeley Startup Competition zu gewinnen.

    AntwortenLöschen
  2. Heute schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:

    Diese Preise gibt es doch: Sie heißen Google, Amazon, Alibaba, ...
    Wer in der Computerwelt Erfolg hat, wird reich finanziell belohnt!

    AntwortenLöschen
  3. Gestern schrieb Klaus Küspert zurzeit in Dublin:

    Stephan Schambach ist in Jena durchaus umstritten. Das kann man natürlich wieder mit dem deutschen 'Wesen' gegenüber Firmengründern in Verbindung bringen. Man kann's freilich auch ein wenig verstehen: In den frühen 2000ern haben auch etliche "Normaljenaer" durch Intershop viel Geld verloren. Normalbürger im Kursrausch und als Venture-Kapital-Geber ist halt eine stets risikoreiche Konstellation.

    In den 1990ern forderte Schambach in Interviews und Gesprächen unsere Studierenden unverblümt zum Studienabbruch auf ̶ "Kommt zu uns und zwar jetzt, nur HIER lernt ihr die Praxis!“ Das sieht er heute freilich anders, wie er vor zwei Wochen in der Aula selbstkritisch-schmunzelnd zum Ausdruck brachte. Nicht alles ist Gold, was glänzt.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.