Dienstag, 27. September 2016

Bitburg und Echternach im Blick oder das deutsch-luxemburgische Grenzland

Nach einigen fachlichen und politischen Beiträgen möchte ich wieder das Thema Heimatkunde aufgreifen. Dieses Mal erzähle ich auch Begebenheiten aus meiner Jugendzeit. Mein Heimatdorf Niederweis liegt etwa auf halbem Wege zwischen Bitburg und Echternach. Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges waren meine Eltern und ihre Dorfnachbarn stärker nach Echternach als nach Bitburg ausgerichtet. Jetzt findet gerade eine Art von Rückorientierung statt.

Geschichtliches aus Altertum, Mittelalter und Neuzeit

Die Südeifel und der Trierer Raum sind überreich an Hinterlassenschaften der gallo-romanischen Zeit. Trier war bekanntlich kurz vor Beginn der Völkerwanderung neben Rom und Konstantinopel eine der Hauptstädte des Römischen Reiches. Wie bei Ausonius (310-394) in seiner Schrift Mosella nachzulesen, waren damals die Seitentäler der Mosel von einer Vielzahl von Villen übersät. Das Kastell Beda, das heutige Bitburg, war ein Etappenstützpunkt an der Straße, die Trier mit Köln verband. Echternach, das damals auch als Beda (vielleicht als Stadtteil Bitburgs) bezeichnet wurde, besaß eine sehr mondäne römische Villa. Zumindest aus Bitburg gibt es in Stein gehauene Texte, die über Einwohner und Ereignisse berichten. Auch das Christentum hatte bereits Fuß gefasst.


Heutige Südeifel mit Bitburger Gutland (Quelle: Wikipedia)

Die Besiedlung der Südeifel durch die Franken (was oft auch als fränkische Landnahme bezeichnet wird) erfolgte ab 496 im Anschluss an die Schlacht von Zülpich, nachdem die Konkurrenz der Alemannen zurückgedrängt worden war. Es war dies die Zeit der Merowinger. Eine Trierer Adelige (Irmina von Oeren) aus dem Geschlecht der Merowinger, schenkte ihre in Echternach gelegene Villa an den angelsächsischen Missionar Willibrord, der hier 698 ein Kloster gründete, in dem er auch begraben liegt. Aus der späteren Reichsabtei Echternach gingen im Hochmittelalter einige der bekanntesten Werke der Buchmalerei hervor. Das Kastell Bitburg verfiel, da die bäuerlich tätigen Franken das Umland bevorzugten. Nach dem Tode Karls des Großen kam es 843 zur ersten Reichsteilung der Karolinger (Vertrag von Verdun). Karls Enkel Lothar erhielt den mittleren Teil, Lotharingen genannt. Er selbst zog sich kurz vor seinem Tode in das Kloster Prüm zurück, wo er begraben wurde.

Das Bistum Trier erstreckte sich damals von Montabaur (im Westerwald) bis nach Arlon (heute in Belgien). Kurfürst Balduin aus dem Hause Luxemburg sorgte als Trierer Bischof nicht nur dafür, dass seine Familienmitglieder zu deutschen Königen und römischen Kaisern gewählt wurden, er hinterließ auch viele lokale Spuren. Die Verbundenheit der Luxemburger Herrscher mit dem französischen König führte dazu, dass nicht nur Johann der Blinde sein Leben 1346 in der Schlacht von Crécy (im Hundertjährigen Krieg gegen England) verlor, sondern auch viele seiner Gefolgsleute. Nach anfänglichem Bedauern über den Verlust der burgundischen Sonderrolle in Europa fand man sich schließlich mit der Zugehörigkeit zum Habsburgerreich ab. Das Jahrhundert von 1697 (nach dem Frieden von Rijswijk) bis 1794, vor allem die Zeit der Kaiserin Maria Theresia (1740-1780), brachte Frieden und Wohlstand. Als Folge davon gilt die Doppeladlerzeit als die ‚gute alte Zeit‘.

Ab 1794 begann die Franzosenzeit. Sie endete als Napoléon von Russen und Preußen (unter Gerhard Leberecht von Blücher) 1814 aus Deutschland vertrieben wurde. Das Herzogtum Luxemburg (mit Echternach) wurde unabhängig, der Kreis Bitburg wurde Teil der Preußischen Rheinprovinz. Schon sehr früh machten sich Stimmen laut, die eine Verselbstständigung (‚Entpreußung‘) der Rheinprovinz innerhalb des Deutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches forderten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie vollzogen, allerdings zwischen den englischen und französischen Besatzungsmächten aufgeteilt.

Nazizeit und Zweiter Weltkrieg

Die Familienbande, die beiderseits der Sauer bestanden, kamen während der Nazizeit in Verruf. Kirmesbesuche fielen als Erstes weg. Nur die Besuche bei Sterbefällen hielten weiter an. Händler-, Anwalts- und vor allem Arztbesuche nahmen nur langsam ab. Die Sendemasten in Junglinster von Radio Luxemburg waren nicht nur gut sichtbar, ihre Ausstrahlungen wurden auch empfangen. Dies geschah anfangs noch öffentlich, später nur heimlich. Gleich zu Beginn des Westfeldzuges, also im Mai 1940, wurde die Grenze von der deutschen Wehrmacht überschritten und das ‚Ländchen‘ (wie das Großherzogtum in der Volkssprache auch heute noch heißt) überrannt.

Während des Krieges wurden Luxemburger Bürger zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Wer immer sich widersetzte oder in anderer Form Widerstand leistete, wurde verhaftet. Die meisten von ihnen wurden in das KZ Hinzert auf dem Hunsrück gebracht. Nur ein Teil überlebte. Von den vergeblichen Versuchen der Nazis, die Sympathie der Luxemburger zu gewinnen, um aus ihnen wieder ‚gute‘ Deutsche zu machen, habe ich erst nach dem Kriege erfahren. Damals wurde der Satz ‚Mir wölle bleiwe wat mir sin‘ immer wieder zitiert, und zwar mit dem Nachsatz ‚un ach kä Preise gien‘ (auf Hochdeutsch ‚und auch keine Preußen werden‘). Bezüglich der Ereignisse in den Jahren 1944 und 1945 zitiere ich einen früheren Bericht [1].

Im Juli 1944 landeten die Alliierten an der französischen Atlantikküste. Bis September hatten sie die deutsch-luxemburgische Grenze erreicht. Das waren keine 10 km von meinem Heimatdorf. Hier legten sie eine Pause ein, um den Nachschub aufzubauen. Deutsche Truppen waren wieder da, teilweise allerdings in ziemlich desolater Verfassung. Bereits im August wurde unser Gymnasium geschlossen. Für die nächsten sechs Monate lebten wir in der Frontzone eines Stellungskrieges. Auf den Höhen hinter Echternach, bei Osweiler und Berdorf, hatten die Amerikaner ihre Artillerie aufgestellt. Sie sandten uns jeden Tag ihre Grüße in Form einiger Granatsalven. … Die Dauer des Beschusses hatte zur Folge, dass kaum ein Haus verschont blieb. Dagegen hinterließ der einzige Jabo-Angriff nur zwei große Bombentrichter in einem Garten. Die Granaten, die in Häuser einschlugen, zerstörten fast immer nur das Dachgeschoss. …

Kurz vor Weihnachten gab es nochmals Trubel. Die deutsche Heeresleitung hatte beschlossen, einen Gegenangriff zu wagen. Die Operation erhielt den Namen Ardennen- oder Rundtstedt-Offensive. Der Schwerpunkt des Angriffs lag nämlich etwas nördlich von uns im südlichen Teil Belgiens; der Oberkommandierende auf deutscher Seite war der General Gerd von Rundtstedt. Es wurden nicht nur die zurück gewichenen Truppenteile neu formiert, sondern auch zusätzliche Reserven mobilisiert. Bei diesen handelte es sich insbesondere um Hitlerjungen und Volkssturmmänner. Sie sahen nicht sehr ermutigend aus. Das von Angst geprägte Gesicht einiger dieser in Feldgrau gekleideten Muttersöhnchen, die höchstens drei Jahre älter waren als wir, erweckte selbst bei uns Kindern Mitleid. Zum sogenannten Volkssturm wurden im Jahre 1944 solche Männer einberufen, die bisher nicht wehrpflichtig waren. … Einer der Offiziere, der vor Beginn der Offensive bei uns einquartiert war, äußerte sich recht optimistisch: „Ich habe noch einen Koffer in Paris. Den hole ich jetzt ab“. Schon nach wenigen Tagen hatte sich der Angriff festgefahren. Auch besagter Offizier kam zurück. Wir brauchten gar nicht nach seinem Koffer zu fragen. Sein Gesicht sagte alles.

Um Silvester 1944 gestanden auch die Oberste Heeresleitung und das Propaganda-Ministerium des Joseph Goebbels das Scheitern ein. Es hatte auf beiden Seiten je fast 80.000 Tote gegeben.

Nachkriegsjahre

Das Bitburger Land wurde Ende Februar 1945 von amerikanischen Infanterietruppen unter General George S. Patton besetzt. Von ihm stammt eine in seinem Kriegstagebuch festgehaltene Beobachtung. Während im Nordteil der Stadt Bitburg noch gekämpft wurde, saß im Südteil ein älterer Mann auf dem Dach seines Hauses, um Einschlagschäden zu reparieren. Das habe er vorher weder in Italien oder Frankreich erlebt. Zur Erklärung: Die Entfernung betrug höchstens 3-4 km. Ich zitiere weiter aus [1].

Obwohl unsere Gegend von Amerikanern erobert wurde, wurden wir ein Teil der französischen Besatzungszone. Innerhalb dieser Zone wurde die Stadt Bitburg und das Umland von Luxemburger Soldaten besetzt. Mit ihnen konnte man besser reden als mit den Franzosen, da wir ja den gleichen Dialekt sprechen. So hatten wir mit der Gruppe, die von unserem Haus aus das Dorf verwaltete, ein fast herzliches Verhältnis. Nicht so freundlich war die Kommandantur in Bitburg. Dort hatte man auf einer Wiese direkt vor unserem Gymnasium mit Blumen das Luxemburger Staatsemblem (den gestreiften Löwen) dargestellt. Daneben stand ein Posten, der aufpasste, dass wir Schüler auch zum Gruß die Mützen abzogen. Nachdem einigen Schülern die Mützen abgenommen worden waren, gewöhnten wir uns alsbald daran, ohne Mütze zur Schule zu gehen. Die Luxemburger Regierung hatte eine Weile gehofft, als Teil der Reparationen den Kreis Bitburg wiederzubekommen, der 1815 von Luxemburg an Preußen gegangen war. Dieser Wunsch wurde später reduziert auf ein unbewohntes Gebiet bei Vianden (den Kammerwald). Es ging für die Zeit von 1949 bis 1959 in Luxemburger Besitz über.

Auch vor meinem elterlichen Wohnhaus in Niederweis war tagsüber ein Luxemburger Soldat postiert, der genau kontrollierte, wer das Haus verließ und betrat. Im zehnzimmerigen Bauernhaus hatte das Militär nämlich ein ebenerdig gelegenes Eckzimmer beschlagnahmt und dort seine Kommandatur eingerichtet. Die Mannschaft war im benachbarten Schlossgebäude einquartiert. Ein Ereignis erschütterte damals das ganze Dorf. Beim Reinigen seines Gewehrs löste sich ein Schuss, der einen Soldaten tötete. Es war, als ob es einen der Unsrigen getroffen hätte. Wir Kinder trauten uns damals sogar mit den Soldaten zu flaxen, also Scherze zu machen. Aus dieser Zeit stammt die folgende Geschichte, über die ich anderswo [2] berichtet habe.

Im Katechismusunterricht ging es um die um die Jünger Jesu. Sehr ausführlich, ja anschaulich, war unter anderem der Verrat des Judas Ischariot, d. h. des Mannes aus Karioth, besprochen worden. Schließlich fragte der Herr Pfarrer, ob jemand wüsste, woher der Jünger war, der Jesus verraten hat. Der kleine Mätti meldete sich und gab dann die Antwort: "Der war Luxemburger!“ Der Pfarrer war etwas verdutzt und fragte zurück: "Wie kommst Du denn darauf?“ Mätti erwiderte: "Sie haben doch eben erzählt, dass Jesus beim letzten Abendmahl vorhergesagt hat: 'Einer von Eich wird mich verraten'". Zur Erklärung für die Orts- und Geschichtsunkundigen: Esch (auf Platt Eich) an der Alzette ist die zweitgrößte Stadt im Großherzogtum Luxemburg. Da die Luxemburger eine etwas andere Lebensart als der preußische Teil der Eifel entwickelten, führte dies dazu, dass man sich schon mal gegenseitig mit kleinen Sticheleien traktierte.

In den Jahren unmittelbar nach Kriegsende wurden die familiären und geschäftlichen Beziehungen langsam wiederbelebt. Ein besonderes Ereignis war die erste Willibrordswallfahrt, an der wieder Deutsche teilnehmen durften. Begleitet von unserem Pfarrer wurden wir auf der Luxemburger Seite der Sauerbrücke von einem Echternacher Theologen in Empfang genommen. ‚Stellt Eich an d’Reih!‘ kommandierte er. Nach einer knappen Stunde aktiver Betätigung in der Springprozession durften wir ausscheren und als Zuschauer weiter am Rande ausharren. Wichtig für die Erwachsenen war, dass sie auch eine begrenzte Menge von Kaffee oder Tabakwaren zollfrei einkaufen und exportieren durften. Auch in späteren Jahren gehörte der ‚kleine Zollgrenzverkehr‘ zu den Besonderheiten eines Besuchs in Echternach.

Heutige Beziehungen

Mein persönliches Hobby der Heimatkunde veranlasste mich immer wieder, das Nationalarchiv in Luxemburg aufzusuchen. Ich fand dort Unterlagen sowohl zur eigenen Familiengeschichte wie zur Dorfgeschichte. Besonders ergiebig war die Information zum örtlichen Adelsgeschlecht, den Freiherrn von der Heyden [4]. Eduard Franz Anton von der Heyden (1692-1755) war Vorsitzender des Luxemburger Rittergerichts gewesen. Auch der Abt Thiofrid (1030-1110) des Klosters Echternach gab mir Anlass zu interessanten historischen Untersuchungen [3]. Der grenzüberschreitende Arbeitskreis Doppeladler stellte einige meiner Bücher auf seinem Server vor.

Mehrere Angehörige meiner Eifler Familie arbeiten als Pendler in Luxemburger Unternehmen. Sie begründen dies mit den höheren Löhnen und den niedrigeren Steuern, die dort üblich seien. In den letzten Jahren erfolgte auch eine Art von Wiedereroberung des Kreises Bitburg. Eine Vielzahl der von Eifler Gemeinden ausgewiesen Bauplätze wurden von Luxemburgern erworben und genutzt. Da man die Arbeits- und Ausbildungsplätze (ja sogar die Kindergartenplätze) auf der Luxemburger Seite beibehält, werden einige Dörfer der Südeifel zu reinen Schlafstätten degradiert. Vor allem Feuerwehren, Fußballvereine, Chöre und Musikkapellen betreiben eine lebendige Kontaktpflege über die Landesgrenze hinweg.

Zusätzliche Literatur
  1. Endres, A.: Erinnerungen an eine Eifler Jugendzeit. In: A.Endres: Geschichten aus der Eifelheimat. Band 1. 2008. 76-93
  2. Endres, A.: Hochdeutsch mit Striefen. ibidem. 116-118
  3. Endres, A.: Abt Thiofrid von Echternach: Über seine Herkunft, seine Schriften und sein Verhältnis zu Trier. ibidem. 223-238
  4. Endres, A.: Frauenschicksale in Schloss Niederweis.  Heimatkalender 2014 des Eifelkreises Bitburg-Prüm, 231-240

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